Dr. Gerlind Wendt, Michael Wendt
Leitsatz
1. Die Festsetzung eines Verspätungszuschlags ist grundsätzlich auch dann nicht zu beanstanden, wenn das FA die Veranlagung erst ein halbes Jahr nach Abgabe der Steuererklärung vornimmt, der Steuerpflichtige zuvor aber eine großzügig gewährte Fristverlängerung um mehr als ein halbes Jahr überzogen hatte (Anschluss an BFH-Urteil vom 19.6.2001, X R 83/98, BStBl II 2001, 618).
2. Formmängel i.S.v. § 126 Abs. 1 Nrn. 2 bis 5 AO können durch eine Einspruchsentscheidung auch dann noch geheilt werden, wenn der Einspruchsführer zuvor eine Untätigkeitsklage erhoben hat.
Normenkette
§ 152 AO , § 126 AO , § 46 FGO
Sachverhalt
Der Kläger hatte seine bereits im November 1995 fertiggestellte ESt-Erklärung für 1993 im Juli 1996 abgegeben. Die vom FA mehrfach verlängerte Abgabefrist war Ende 1995 abgelaufen. Ein Steuerbescheid erging im Januar 1997. Die ESt betrug 51 026 DM, wovon 34 504 DM nachzuzahlen waren. Außerdem wurden Zinsen von 3 622 DM und ein Verspätungszuschlag von 1 780 DM festgesetzt.
Über den dagegen erhobenen Einspruch entschied das FA erst im Juni 1998. Zuvor (im März 1998) hatte der Kläger Untätigkeitsklage erhoben. Mit der – nicht auf einer Fristsetzung durch das FG beruhenden – Einspruchsentscheidung setzte das FA den Verspätungszuschlag auf 750 DM herab und verwies zur Begründung auf die außerordentlich lange Fristüberschreitung trotz rechtzeitig fertiggestellter Erklärung und den hohen Nachzahlungsanteil. Die ungünstige wirtschaftliche Entwicklung im Betrieb des Klägers sei zu seinen Gunsten berücksichtigt worden; der Verspätungszuschlag bewege sich mit 1,47 % der Steuer im unteren Bereich. Die Bearbeitungsdauer im FA stehe dem Verspätungszuschlag nicht entgegen.
Das FG wies die Klage ab, weil die Verfahrensverstöße des FA mit der Einspruchsentscheidung geheilt worden seien und die Festsetzung des Verspätungszuschlags im Rahmen des dem FA zustehenden Ermessens bleibe. Die Revision des Klägers hatte keinen Erfolg.
Entscheidung
Der BFH hielt den Verspätungszuschlag unter Berücksichtigung seiner verschiedenen Funktionen für ermessensgerecht. Die Bearbeitungsdauer im FA stehe der Festsetzung angesichts der erheblichen und noch dazu unnötigen Fristüberschreitung durch den Kläger nicht entgegen. Trotz der bereits anhängigen Untätigkeitsklage reiche es aus, dass eine Begründung mit der Einspruchsentscheidung gegeben worden sei.
Hinweis
1. Die Erhebung eines Verspätungszuschlags verfolgt mehrere Zwecke. Die ursprünglich im Vordergrund stehende Funktion, den Zinsvorteil des Steuerpflichtigen aus der verspäteten Abgabe der Steuererklärung abzuschöpfen, hat allerdings seit Einführung der sog. Vollverzinsung an Bedeutung verloren, denn diese führt zur typisierten Abschöpfung von Zinsvorteilen. Wer gehofft hatte, damit sei die Berechtigung für die Erhebung von Verspätungszuschlägen entfallen, musste sich aber eines anderen belehren lassen. Einerseits verbleibt immer noch ein Zinsvorteil während der Karenzzeit des § 233a Abs. 2 AO von 15 Monaten seit Ablauf des Kalenderjahrs. Andererseits kann der Zinsvorteil die Nachzahlungszinsen übersteigen, worauf der BFH im hiesigen Urteil ausdrücklich unter Bezugnahme auf Kontokorrentzinsen hinweist. Den häufig gezogenen Vergleich mit derzeit sehr niedrigen Guthabenzinsen hält er wohl nicht für angebracht.
Die übrigen Funktionen des Verspätungszuschlags sind ohnehin nicht pekuniärer Natur. Der BFH benennt ausdrücklich den Erziehungs-, Präventiv- und Abschreckungseffekt. All diesen Zwecken dient der Verspätungszuschlag.
2. Die Bearbeitungsdauer im FA ist nach Meinung des BFH im Grundsatz ohne Bedeutung für den Verspätungszuschlag. Anders kann es aus seiner Sicht allenfalls dann sein, wenn einer nur geringfügigen Überschreitung der Abgabefrist eine unverhältnismäßig lange Zeit bis zum Ergehen des Bescheids gegenübersteht. Eine Entscheidung dieser Frage hat der BFH aber ausdrücklich nicht treffen wollen, weil diese Voraussetzungen in den bisher beurteilten Fällen nicht erfüllt waren.
3. Das FA muss allerdings bei der Festsetzung des Verspätungszuschlags begründen, aus welchen Gründen es den festgesetzten Betrag für angemessen hält. Diese Begründung ist an sich spätestens im Einspruchsverfahren zu geben. So geschah es auch im Besprechungsfall, der sich allerdings dadurch auszeichnete, dass bereits Untätigkeitsklage erhoben war. Dies hindert das FA nach Meinung des BFH aber nicht am Erlass der Einspruchsentscheidung mit heilender Wirkung für eine bisher versäumte Begründung.
Beachten Sie, dass sich die Rechtslage durch das StÄndG 2001 mit Beginn des laufenden Jahres geändert hat. Das FA darf jetzt seine Begründung noch im Klageverfahren vor dem FG ergänzen (§ 102 Satz 2 FGO n.F.). Die Regelung besagt allerdings nicht, dass im Verwaltungsverfahren überhaupt keine Begründung geliefert werden muss. Eine rudimentäre Begründung muss dort bereits gegeben worden sein. Nur dann ist eine "Ergänzung" im Klageverfahren denkbar (vgl. Lange, DB 2001, 2680).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 2...