In Fällen, in denen Steuererklärungen, die sich auf ein Kalenderjahr (also u. a. ESt-Erklärungen) oder einen gesetzlich bestimmten Zeitpunkt beziehen, nicht binnen 14 Monaten nach Ablauf des Besteuerungszeitraums oder bei Vorabanforderungen nicht bis zu dem in der Anordnung bestimmten Zeitpunkt abgegeben wurden, ist nach § 152 Abs. 2 AO ein Verspätungszuschlag (ohne Ermessensentscheidung) festzusetzen.
Unerheblich ist, ob ein "Beraterfall" vorliegt oder der Steuerpflichtige seine Steuererklärung selbst erstellt. Ebenso wenig spielt eine Rolle, aus welchen Gründen die Frist versäumt wurde.
Die "Muss"-Regelung des § 152 Abs. 2 AO verstößt nicht gegen die Unschuldsvermutung gem. Art. 6 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Sie ist keine Norm mit Strafcharakter.
Nach § 152 Abs. 3 AO unterbleibt ausnahmsweise trotz Fristüberschreitung die Festsetzung eines Verspätungszuschlags bei
- Fristverlängerung, auch rückwirkend (Nr. 1).
- Steuerfestsetzung von 0 EUR oder negativer Steuer (Nr. 2).
- "Erstattungsfällen", weil die festgesetzten Vorauszahlungen und Abzugsbeträge die festgesetzte Steuer übersteigen (Nr. 3). Aus Vereinfachungsgründen bleibt unberücksichtigt, ob die festgesetzten Vorauszahlungen tatsächlich entrichtet wurden.
Liegt einer dieser Fälle vor, findet § 152 Abs. 2 AO keine Anwendung, d. h., es erfolgt keine ermessensunabhängige Festsetzung von Amts wegen. Die Festsetzung eines Verspätungszuschlags richtet sich in diesem Fall dann wiederum nach der Ermessensregelung des § 152 Abs. 1 AO. In den Fällen der verlängerten Erklärungsfrist ist ein Verspätungszuschlag aber nur zulässig, wenn diese nicht eingehalten wurde.
Fristverlängerung nicht eingehalten – Kein "Muss"-Fall
Dem steuerlich beratenen S wird für den VZ 01 für seine ESt-Erklärung Fristverlängerung über den 28.2.03 hinaus bis zum 31.5.03 gewährt. Die Erklärungsabgabe erfolgt gleichwohl erst im Juli 03. Das Finanzamt geht von einem "Muss"-Fall nach § 152 Abs. 2 AO aus und setzt gegen S entsprechend einen Verspätungszuschlag fest, ohne Ermessenserwägungen anzustellen.
Da es sich hier jedoch um einen Fall des § 152 Abs. 1 AO handelt, hätte das Finanzamt eine Ermessensentscheidung treffen müssen. Somit liegt ein Ermessensfehler in Form der Ermessensunterschreitung bzw. des Ermessensnichtgebrauchs vor. Der Verspätungszuschlag ist rechtswidrig und daher aufzuheben.
In Null- und Erstattungsfällen kommt ein Verspätungszuschlag insbesondere bei wiederholter Verletzung der Erklärungsfrist in Betracht. Umstritten ist, ob und ggf. welche weiteren Ermessenskriterien die Finanzbehörde dabei zu berücksichtigen hat. Zu dieser Frage sind inzwischen mehrere Revisionen beim BFH anhängig, allesamt im Zusammenhang mit der verspäteten Abgabe von USt-Erklärungen. In einem Fall vor dem FG Münster ging es dagegen um die Festsetzung eines Verspätungszuschlags wegen der ESt-Erklärung 2020. Diese hatte der steuerlich beratene Kläger erst am 29.3.2023 und damit 7 Monate nach der coronabedingt von Gesetzes wegen auf den 31.8.2022 verlängerten Frist (s. u.) abgegeben. Die Steuererklärung führte aufgrund der Anrechnung der vom Arbeitgeber abgeführten Lohnsteuer zu einer ESt- und SolZ-Erstattung i. H. v. ca. 9.000 EUR. Dennoch setzte das Finanzamt einen Verspätungszuschlag von 175 EUR fest. Es stellte sich auf den Standpunkt, dass nach der neuen Fassung des § 152 Abs. 1 AO nur die Verspätung und das Verschulden für die Verspätung relevant seien. Die Klage hatte Erfolg. Das FG entschied, dass das Finanzamt sein Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt habe. Dies ergebe sich daraus, dass das Finanzamt inhaltlich allein auf die verspätete Abgabe und das Verschulden des Klägers abgestellt hat. Ermessensfehlerhaft habe es in seine Abwägung nicht einbezogen, dass die Steuerfestsetzung für 2020 zu einer nicht unwesentlichen Erstattung geführt hat. Auch habe es keine Erwägungen dazu angestellt, aus welchen Gründen trotz der Erstattung ein Verspätungszuschlag gerechtfertigt ist. Insbesondere fehle es an Ausführungen zur Bedeutung der Dauer und Häufigkeit der Fristüberschreitung.
Fraglich ist, ob bei der Festsetzung eines Verspätungszuschlags wegen verspäteter Abgabe einer Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung die Rückausnahme des § 152 Abs. 2 Nr. 3 AO mit der Maßgabe anzuwenden ist, dass bezüglich der festgesetzten Steuer, der Summe der festgesetzten Vorauszahlungen und der anzurechnenden Steuerabzugsbeträge auf die dem Feststellungsbescheid folgenden Einkommensteuer- bzw. Körperschaftsteuerbescheide der Gesellschafter abzustellen ist. Das FG Baden-Württemberg hat dies – entgegen der Auffassung der Verwaltung – bejaht.
Coronabedingte Sonderregeln für die Veranlagungszeiträume bis 2024
Für die Veranlagungszeiträume 2020 bis 2024 wurden aufgrund der Corona-Pandemie die gesetzlichen Erklärungsfristen verschoben. Dem hat der Gesetzgeber durch eine entsprechende Anpassung der Säumnisregelungen Rechnung getragen. So tritt in § 15...