§ 152 Abs. 5 Satz 3 AO sieht eine Billigkeitsregelung für solche Fälle vor, in denen Steuerpflichtige bis zum Zugang einer nach Ablauf der allgemeinen Erklärungsfrist versandten Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung davon ausgehen durften, nicht zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet zu sein. In diesen Fällen soll der Verspätungszuschlag erst vom Ablauf der in der Aufforderung bezeichneten Erklärungsfrist an berechnet werden.
Diese Regelung ist insbesondere auf Rentner zugeschnitten, die in der Vergangenheit vom zuständigen Finanzamt eine Nichtveranlagungsbescheinigung oder eine Mitteilung, künftig nicht mehr erklärungspflichtig zu sein, erhalten haben und im Zuge der Auswertung von Rentenbezugsmitteilungen erst nach Ablauf der gesetzlichen Erklärungsfrist zur Abgabe einer Steuererklärung für unter Umständen länger zurückliegende Zeiträume aufgefordert werden.
Die Billigkeitsregelung kann allerdings – unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls – auch dann greifen, wenn ein beim Finanzamt steuerlich geführter Steuerpflichtiger aufgrund Nichtveranlagungsbescheinigung oder sonstiger Umstände darauf vertrauen durfte, nicht zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet zu sein. Dass solche – in der Sphäre des Finanzamts liegende – Umstände die gesetzliche Erklärungspflicht nicht beseitigen können, ist in der Rechtsprechung geklärt.
Sachlicher Anwendungsbereich des § 152 Abs. 5 Satz 3 AO
Die zur Einkommensteuer zusammenveranlagten Ehegatten M und F erzielten in 2018 und 2019 jeweils Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit. Bereits vor dem Jahr 2007 wechselten sie die Steuerklasse zu III/ V. F fing aber erst ab Juni 2018 an, auf Steuerklasse V zu arbeiten. Nach Erinnerung durch das Finanzamt gaben sie im Juli 2022 über ihren steuerlichen Berater die Steuererklärungen 2018 und 2019 ab. Das Finanzamt setzte für beide Jahre einen Verspätungszuschlag nach der "Muss"-Regelung des § 152 Abs. 2 AO fest, laut Schleswig-Holsteinisches FG zu Recht. Der Umstand, dass die Ehegatten – nachdem sie bei der Steuerklassenwahl III/V über die aus dieser Wahl ggf. resultierenden Abgabepflichten informiert worden waren – über einen mehrjährigen Zeitraum hinweg zunächst keine Einkommensteuererklärungen abgeben mussten, weil die Ehefrau (Steuerklasse V) bis einschließlich Veranlagungsjahr 2017 keine Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit erzielte, führe nicht zu einer Verpflichtung des Finanzamts, die Information über die Abgabepflichten zu wiederholen oder in regelmäßigen Abständen Kontakt zu den Ehegatten aufzunehmen und diese an die mit der Steuerklassenwahl III/V einhergehenden Pflichten zu erinnern. Der vorgenannte Fall sei kein Anwendungsfall des § 152 Abs. 5 Satz 3 AO. Diese Billigkeitsregelung beträfe Fälle, in denen die Steuerpflichtigen in der Vergangenheit vom Finanzamt explizit eine Mitteilung erhalten hatten, dass sie nicht (mehr) erklärungspflichtig seien.
Billigkeitskeitsmaßnahmen bei verspäteter unaufgeforderter Erklärungsabgabe in Pflichtfällen
Wird bei einer bestehenden Steuererklärungspflicht eines steuerlich nicht (mehr) geführten Rentners die Einkommensteuererklärung nach Ablauf von 14 Monaten nach Ablauf des Veranlagungszeitraums unaufgefordert abgegeben und werden ausschließlich Renteneinkünfte erzielt, zeigt sich die Verwaltung durchaus bereit, den obligatorisch festzusetzenden Verspätungszuschlag von Amts wegen durch die rückwirkende Gewährung einer Fristverlängerung zu verhindern bzw. zu beseitigen oder – soweit dies nicht möglich ist – auf Antrag des Steuerpflichtigen nach § 227 AO zu erlassen. Dies gilt auch, wenn neben den Renteneinkünften Einkünfte aus Kapitalvermögen, die dem inländischen Steuerabzug unterlegen haben, erzielt werden.
Beruht die Steuererklärungspflicht auf der Erzielung von Lohnersatzleistungen (z. B. Kurzarbeitergeld), die dem Progressionsvorbehalt unterliegen, kommt eine rückwirkende Fristverlängerung nach Lage des Einzelfalls in Betracht.