Prof. Dr. Gerrit Frotscher
Das Verständigungsverfahren wird auf Antrag des Stpfl. eingeleitet. Er hat den Antrag bei der Finanzbehörde seines Ansässigkeitsstaats zu stellen, wenn er von einer Maßnahme erfährt, die zu einer Doppelbesteuerung oder einer DBA-widrigen Besteuerung führen kann. Der Antrag muss spätestens 3 Jahre nach der Mitteilung der Maßnahme, die zu der abkommenswidrigen Besteuerung führt, gestellt werden. Einzelne DBA können abweichende Antragsfristen enthalten. Diese Maßnahme ist i. d. R. die Bekanntgabe des Steuerbescheids, in dem die abkommenswidrige Besteuerung umgesetzt worden ist. Zuständig ist das BMF, das seine Befugnisse nach § 5 Abs. 1 Nr. 5 FVG auf das BZSt delegieren kann.
Entsprechend Art. 25 Abs. 2 S. 1 OECD-MA prüft die angerufene Behörde in einem ersten Schritt, ob sie die abkommenswidrige Besteuerung durch unilaterale Maßnahmen vermeiden kann. Ist das nicht der Fall, leitet sie das eigentliche Verständigungsverfahren ein, indem sie sich mit der zuständigen Behörde des anderen Staats in Verbindung setzt. Es liegt jedoch im Ermessen der angerufenen Finanzbehörde, ob sie ein Verständigungsverfahren einleitet. Ebenso liegt es im Ermessen der anderen Behörde, ob sie sich auf ein Verständigungsverfahren einlässt. Daher besteht nur ein Anspruch des Stpfl. auf fehlerfreie Ermessensausübung, nicht dagegen ein Anspruch auf Einleitung des Verständigungsverfahrens. Deutschland leitet regelmäßig ein Verständigungsverfahren ein; Ausnahmen bestehen nur, wenn der Stpfl. die Doppelbesteuerung durch missbräuchliches Verhalten verursacht hat.
Das eigentliche Verständigungsverfahren besteht in Verhandlungen der zuständigen Behörden der beteiligten Staaten. Der Stpfl. ist nicht unmittelbar an dem Verfahren beteiligt. Er kann allerdings bei der Finanzbehörde seines Ansässigkeitsstaats Anträge stellen, dieser Tatsachen mitteilen und Rechtsansichten äußern, die die Behörde im Rahmen ihres Ermessens berücksichtigen kann, aber nicht muss.
Die beteiligten Staaten haben i. d. R. nur vereinbart, sich um eine Einigung zu bemühen; ein Einigungszwang besteht nicht. Das Verständigungsverfahren kann auch mit der Feststellung enden, dass sich die beteiligten Behörden nicht einigen können. Dann bleibt die abkommenswidrige Besteuerung bestehen, wenn sie nicht durch nationale Rechtsbehelfsverfahren beseitigt werden kann.
Kommt es zu einer Verständigungsvereinbarung, kann diese nach § 175a AO ohne Rücksicht auf Bestandskraft oder Ablauf der Festsetzungsfrist durch Erlass oder Änderung von Steuerbescheiden umgesetzt werden.
Da das Verständigungsverfahren wegen des fehlenden Einigungszwangs ergebnislos verlaufen kann, werden zunehmend Schiedsvereinbarungen getroffen, in denen ein Schiedsgericht nach einem vergeblichen Verständigungsverfahren eine beide Seiten bindende Entscheidung, die die Doppelbesteuerung vermeiden muss, fällt. Zu nennen ist in erster Linie die Schiedskonvention und das Streitbeilegungsverfahren der EU-Staaten ("Schiedsverfahren (allgemein"). Die OECD hat in Art. 25 Abs. 5 OECD-MA einen Vorschlag für ein bindendes Schiedsverfahren entwickelt. Dieses Schiedsverfahren ist jedoch kein justizförmiges Verfahren unter Beteiligung des Stpfl., sondern Teil des Verständigungsverfahrens, das daher ohne Beteiligung des Stpfl. nur zwischen den beteiligten Finanzbehörden abläuft. In neueren DBA ist ein solches Schiedsverfahren stets enthalten.
Hierzu "Schiedsverfahren (DBA)".