OFD Hannover, Verfügung v. 11.12.2008, S 0190 - 10 - StO 141
1. Umfang der Haftung (Kausalität)
Die Haftungsvorschrift des § 69 Abs. 1 AO umfasst als selbstständige Möglichkeiten der Tatbestandsverwirklichung
- die Nichtfestsetzung
- die nicht rechtzeitige Festsetzung
- die Nichterfüllung
- die nicht rechtzeitige Erfüllung der Steueransprüche sowie
- die Zahlung der Steuervergütungen und Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund.
Nach § 69 AO muss die Pflichtverletzung der in den §§ 34 und 35 AO bezeichneten Personen ursächlich dafür sein, dass die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt worden sind. Es muss feststehen, dass der im Gesetz bezeichnete Haftungsschaden ohne die Pflichtverletzung nicht eingetreten wäre (ständige Rechtsprechung). Die Kausalität richtet sich wie bei den zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen nach der sog. Adäquanztheorie. Danach können nur solche Pflichtverletzungen für den Erfolg ursächlich sein, die allgemein oder erfahrungsgemäß geeignet sind, diesen Erfolg zu verursachen. Der Ursachenzusammenhang darf nicht außerhalb des Wahrscheinlichen liegen. Das pflichtwidrige Verhalten kann auch vor Fälligkeit, ggf. auch vor Entstehung der später verkürzten Steueransprüche liegen.
Beispiel 1:
Überweisung der Nettolöhne an die Arbeitnehmer der GmbH, obwohl der Geschäftsführer genau weiß, dass ihm dann nicht mehr ausreichende Mittel für die Entrichtung der darauf entfallenden Lohnsteuer zur Verfügung stehen. Die Pflichtverletzung liegt vor der Entstehung der Lohnsteuer; der Geschäftsführer hätte vor Überweisung der Löhne die Mittel für die Bezahlung der Lohnsteuer sicherstellen müssen, ggf. durch geringere Nettolohnzahlungen.
Beispiel 2:
Der Geschäftsführer weiß, dass die GmbH für den Monat Juli ca. 100.000,00 EUR an Umsatzsteuer wird entrichten müssen. Trotzdem befriedigt er gegen Ende des Monats in vollem Umfang die übrigen Gläubiger der GmbH – auch soweit deren Forderungen noch nicht fällig waren –, so dass ihm für die Tilgung der Steuerschuld keine Mittel mehr zur Verfügung stehen. Die Pflichtverletzung (= ausschließliche Befriedigung der übrigen Gläubiger) liegt vor der Entstehung der Umsatzsteuerschuld.
An der Ursächlichkeit fehlt es, wenn im Fälligkeitszeitpunkt der Steuer bereits ein gerichtliches Verfügungsverbot bestand.
1.1 Grundsatz der anteiligen Tilgung
Bei der Beurteilung der Frage, inwieweit die in §§ 34, 35 AO bezeichneten Personen für sonstige Betriebssteuern (Umsatzsteuer, Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer, pauschale Lohnsteuer u.a.) und damit im Zusammenhang stehende Nebenleistungen haften, ist davon auszugehen, dass beim Fehlen ausreichender Mittel zur Tilgung sämtlicher Verbindlichkeiten die rückständigen Steuerbeträge ungefähr in dem gleichen Verhältnis zu tilgen sind wie die Verbindlichkeiten gegenüber anderen Gläubigern (BFH-Urteil vom 26.4.1984, BStBl 1984 II S. 776). Benachteiligt der Haftungsschuldner das FA bei der Verteilung der verwalteten Mittel, verletzt er diese Pflicht zumindest grob fahrlässig und haftet deshalb im Umfang des die durchschnittliche Tilgungsquote unterschreitenden Fehlbetrages. Dies ist die Haftungssumme (vgl. Tz. 2).
1.2 Ausnahmen
Der Haftungsschuldner verletzt die dem Steuergläubiger gegenüber bestehenden Pflichten bereits dann, wenn er sich durch Vorwegbefriedigung oder in sonstiger Weise vorsätzlich oder grob fahrlässig außerstande setzt, eine bereits entstandene, aber erst künftig fällig werdende Steuerforderung im Zeitpunkt der Fälligkeit zu tilgen. Er haftet dann insoweit, als der Steuergläubiger bei pflichtgemäßem Verhalten im Fälligkeitszeitpunkt befriedigt worden wäre (BFH-Urteil vom 26.4.1984, BStBl 1984 II S. 776).
Beispielsweise haftet der Geschäftsführer für rückständige Körperschaftsteuern in voller Höhe, wenn er, ohne hierzu aufgrund eines den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Gewinnverteilungsbeschlusses ermächtigt oder verpflichtet zu sein, Ausschüttungen an die Anteilseigner vornimmt, die nach § 38 KStG (ggf. i.V.m. § 34 Abs. 16 KStG) zu einer Erhöhung der Körperschaftsteuer führen. Da die Steuer insoweit nicht im Rahmen eines laufenden Geschäftsbetriebs der Gesellschaft entsteht, sondern Folge einer gezielten Mittelverwendung ist, darf der Geschäftsführer Ausschüttungen nur insoweit vornehmen, als die Gesellschaft auch die hierdurch ausgelöste Körperschaftsteuer entrichten kann (Niedersächsisches FG, Urteil vom 4.4.1995, XI 255/91, n.v.).
Die Vermögenslage des Steuerschuldners ist unerheblich, wenn die aufgrund des Umsatzsteuer-Jahresbescheids zu leistende Abschlusszahlung allein darauf zurückzuführen ist, dass aufgrund unrichtiger Voranmeldungen zu hohe Vorsteuervergütungen ausgezahlt wurden (Niedersächsisches FG, Urteil vom 16.10.1996, XI 123/93, n.v.). Insoweit greift der Grundsatz der anteiligen Tilgungsverpflichtung für den Verantwortlichen nicht, weil es sich nicht um eine Zahlungsverpflichtung der Gesellschaft, sondern um eine zu Unrecht an die Gesellschaf...