Dr. Hubertus Gschwendtner
Leitsatz
Die Vier-Monats-Frist i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG ist nicht taggenau gem. § 108 Abs. 1 AO i.V.m. §§ 187, 188 BGB zu berechnen, sondern umfasst vier volle Kalendermonate.
Normenkette
§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG , § 108 Abs. 1 AO , § 187 BGB , § 188 BGB
Sachverhalt
Die Schulausbildung der Tochter T des Klägers endete am 27.6.1996. Ab dem 28.6.1996 war T arbeitslos gemeldet. Am 4.11.1996 begann sie ein dreimonatiges Praktikum in einer Kindertagesstätte, das Voraussetzung für das angestrebte Studium des Sozialwesens war.
T erhielt für die Monate Januar bis Juni Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (3.690 DM) und für die Monate Juli bis Dezember Arbeitslosengeld (8.727,20 DM). Der Beklagte hob deshalb nach § 70 Abs. 2 EStG die Kindergeldfestsetzung für die Zeit von Januar bis Dezember 1996 auf und forderte das zuviel gezahlte Kindergeld zurück.
Das FG gab der Klage für die Monate Januar bis Juni 1996 statt; im Übrigen wies es die Klage ab (EFG 2002, 626).
Entscheidung
Der BFH hob das Urteil des FG auf und wies die Klage ab. T habe sich während des ganzen Jahres 1996 in Berufsausbildung befunden, weil das Praktikum Teil der Berufsausbildung sei. Die Monate Juli bis Oktober 1996 seien als Übergangszeit im Sinn des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2b EStG zu beurteilen, weil dieser Zeitraum nicht taggenau nach den Bestimmungen des BGB, sondern nach vier vollen Monaten zu berechnen sei.
Sei die Unterbrechung kürzer als vier volle Monate, seien auch die Einkünfte und Bezüge des Kindes nicht gem. § 32 Abs. 4 Sätze 5 und 6 EStG zu kürzen. Da die Einkünfte und Bezüge der T über den Jahresgrenzbetrag gelegen hätten, habe der Beklagte den Kindergeldbescheid zu Recht aufgehoben.
Hinweis
Das Kindergeld wird seit der Neuregelung des Familienleistungsausgleichs als Steuervergütung gezahlt. Das hat u.a. zur Folge, dass die Vorschriften der Abgabenordnung über die Steuerfestsetzung anzuwenden sind. Nach dieser sind Fristen grundsätzlich nach den Bestimmungen des BGB zu berechnen, also nach § 187 Abs. 2 Satz 1, § 182 Abs. 2 BGB taggenau.
Das ist ausnahmsweise aber dann anders, wenn die Anwendung der AO zu Ergebnissen führt, die den Vorstellungen des Kindergeldrechts nicht entsprechen. So ist für den Vier-Monats-Zeitraum des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2b EStG zu berücksichtigen, dass die Bestimmung den Anspruch auf Kindergeld für einen Übergangszeitraum zwischen zwei Ausbildungsabschnitten aufrechterhalten soll.
Dieser Zeitraum würde sich auf zwei Monte verkürzen, wenn er taggenau zu berechnen wäre und der erste Ausbildungsabschnitt während eines Monats endet und der zweite Abschnitt während eines Monats beginnt. Denn in den Monaten, in denen die Berufsausbildung endet bzw. beginnt, besteht auch ohne die Regelung in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2b EStG ein Anspruch auf Kindergeld. Eine solche Beschränkung des Vier-Monats-Zeitraums lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 15.7.2003, VIII R 105/01