Leitsatz
Die Finanzbehörden müssen dem Steuerpflichtigen nach Ablauf eines AdV-Antrags ausreichend Zeit einräumen, um einen begründeten Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO stellen zu können. Die Länge der Frist hängt von den Umständen des Einzelfalles ab und muß im Regelfall mindestens drei Wochen betragen, sie kann aber u.U. auch sechs Wochen nach Zugang der Ablehnungsverfügung betragen, z.B. weil der Steuerpflichtige zur Prüfung der für die Ablehnung des AdV gegebenen Begründung ein ihm nicht bekanntes unveröffentlichtes FG-Urteil beschaffen muß. Hat ein Gesamtschuldner bei im wesentlichen gleichgelagerten Sachverhalt bereits einen Antrag gem. § 69 Abs. 3 FGO gestellt und der andere durch einen Einspruch gegen die Ablehnung zu erkennen gegeben, daß er die Ablehnung ebenfalls nicht hinnehmen will, darf im Regelfall nicht unangekündigt mit Vollstreckungen begonnen werden.
Sachverhalt
In den Verfahren 7 K 6269/01 und 7 K 6272/01 stritten die Kläger mit dem Finanzamt über Vollstreckungskosten, die ihrer Auffassung nach bei richtiger Sachbehandlung nicht entstanden wären (§ 346 Abs. 1 AO). Das Finanzamt hatte mit Verfügung vom 22.8.2000 einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung eines Haftungsbescheides u.a. unter Hinweis auf ein nicht veröffentlichtes Urteil des Finanzgerichts Berlin zurückgewiesen. Im Verfahren 7 K 6272/01 erließ das Finanzamt offensichtlich ohne weitere Anmahnung eine Pfändungs- und Überweisungsverfügung, im Parallelverfahren 7 K 6269/01 hatte der Kläger Einspruch gegen die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung eingelegt, gleichwohl waren am 4.10.2000 Vollstreckungsmaßnahmen ergriffen worden.
Entscheidung
In beiden Fällen gab das Finanzgericht den Klagen statt und stellte fest, daß bei richtiger Sachbehandlung die Kosten nicht angefallen wären, weil das Ergreifen von Vollstreckungs-maßnahmen in diesem Stadium ermessensfehlerhaft war. Zwar habe das Finanzamt gem. § 249 Abs. 1 Satz 1 AO Ermessen, ob und ggfs. welche Vollstreckungsmaßnahmen und zu welchem Zeitpunkt ergriffen werden, die Ausübung dieses Ermessens kann jedoch vom Finanzgericht in den Grenzen des § 102 FGO überprüft werden.
Das Gebot des effektiven Rechtsschutzes, welches aus Art. 19 Abs. 4 GG folgt, gebiete, daß dem Steuerpflichtigen nach Ablehnung eines Aussetzungsantrags durch die Finanzbehörden eine angemessene Frist eingeräumt wird, um fälligkeits- bzw. vollstreckungshindernde Maßnahmen (AdV, Stundung, Vollstreckungsaufschub) zu erwirken. So bestehe Einigkeit darüber, daß von Fällen des offensichtlichen Mißbrauchs abgesehen zwischen der Antragstellung und Entscheidung über einen Aussetzungsantrag keine Vollstreckungsmaßnahmen vorzunehmen sind (vgl. auch AEAO Tz. 3.1 und 3.2 zu § 361 AO). Entsprechendes müsse aber auch für den Zeitraum zwischen Ergehen der Ablehnungsverfügung und dem Stellen eines Antrags auf AdV beim Finanzgericht gelten. Bereits in einer früheren Entscheidung hatte das Finanzgericht ausgesprochen, daß eine Frist von ca. 2 ½ Wochen noch als ausreichend angesehen werden könne. Das FG war nun der Auffassung, daß diese Frist nicht ausreichend sei. Insbesondere verwarf das Finanzgericht die Auffassung des Finanzamtes, das nach Ablauf einer Frist von drei Wochen nach Absendung einer Verfügung über die Ablehnung der AdV grundsätzlich Vollstreckungsmaßnahmen ergriffen werden dürften. Wie lange die Frist ist, die gewährt werden müsse, hänge von den Umständen des Einzelfalles ab. Im Verfahren 7 K 6272/01 war das Gericht der Auffassung, daß eine Frist von 6 Wochen sachgerecht gewesen sei, da der Steuerpflichtige sich erst ein unveröffentlichtes Urteil des Finanzgerichts beschaffen mußte, auf welches das Finanzamt in der Ablehnungsverfügung hingewiesen hatte. Innerhalb dieser Frist hatte der Kläger jedoch seinen Antrag beim Finanzgericht eingereicht. Im Verfahren 7 K 6269/01 war das Finanzgericht zusätzlich der Auffassung, daß auch dann, wenn zunächst nur ein Einspruch gegen die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung eingelegt wurde, nicht sofort mit Vollstreckungsmaßnahmen begonnen werden dürfe, da der Kläger (Sohn des Klägers im anderen Verfahren, der zudem vom gleichen Prozeßbevollmächtigten vertreten war), hierdurch zum Ausdruck gebracht hatte, daß er nicht gewillt war, die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung widerspruchslos hinzunehmen. Hätte das Finanzamt die gebotenen Fristen eingehalten, wären Vollstreckungsmaßnahmen nicht ergriffen worden und somit Kosten auch nicht angefallen.
Hinweis
Stellt der Steuerpflichtige beim Finanzamt einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung, stellt das Finanzamt - von Fällen rechtsmißbräuchlicher Antragstellung abgesehen - nach Tz. 3.1 AEAO Vollstreckungsmaßnahmen zurück, bis über den Antrag entschieden ist. Dem Steuerpflichtigen ist bei Ablehnung eine Nachfrist zur Zahlung der Steuern zu setzen, und wenn die Steuern bezahlt werden, ist von der Erhebung von Säumniszuschlägen abzusehen. Unbegründete AdV-Anträge werden nach der Praxis der Finanzbehörden in der Regel unverzüglich zurü...