Rz. 12
Ermittlung des richtigen Auslegungs- und Prüfungsmaßstabs für § 50d Abs. 3 EStG. Welche der unter Rz. 1 aufgeführten Rechtsnormen den richtigen Auslegungs- und Prüfungsmaßstab für eine unionsrechtliche Würdigung des § 50d Abs. 3 EStG bildet, kann nicht allgemein beantwortet werden. Es kommt vielmehr auf den jeweils von § 50d Abs. 3 EStG betroffenen Entlastungsanspruch an. Das ergibt sich daraus, dass die jeweils in Betracht kommenden Entlastungsansprüche (DBA, § 43b, § 44a Abs. 9, § 50g EStG) in unterschiedlicher Weise unionsrechtlichen Einflüssen unterliegen. Je nachdem, welcher Entlastungsanspruch von § 50d Abs. 3 EStG betroffen ist, kann für die unionsrechtliche Überprüfung dessen Versagung ein anderer unionsrechtlicher Prüfungsmaßstab gelten. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer nach Entlastungsansprüchen gegliederten Differenzierung:
Rz. 13
§ 50d Abs. 3 i.V.m. DBA (EU- und Drittstaatenfälle). Der originäre Anwendungsbereich des § 50d Abs. 3 EStG erfasst seinem Wortlaut nach nur Entlastungsansprüche auf der Grundlage eines DBA. Für die Prüfung ist aber weiter zu differenzieren:
- Wird ein Anspruch auf der Grundlage eines DBA mit einem EU-Mitgliedstaat versagt und ist auf den betroffenen Sachverhalt auch Art. 5 MTR bzw. Art. 1 ZLR anwendbar, so stellt sich die Frage, ob die Entlastungsnorm des DBA eine Umsetzung des Art. 5 MTR bzw. Art. 1 ZLR darstellt (s. zu dieser Frage Rz. 51). Bejaht man diese Frage, so bewegt sich § 50d Abs. 3 EStG auch bei Versagung solcher DBA-Vorteile im Harmonisierungsbereich des Art. 1 Abs. 2 ff. MTR bzw. Art. 5 ZLR. Diese Normen verpflichten bzw. ermächtigen aber nach hier vertretener Ansicht nicht zur diskriminierenden Missbrauchsvermeidung, sodass die Grundfreiheiten ergänzend abwendbar sind und sich § 50d Abs. 3 EStG an diesen messen lassen muss (vgl. Rz. 54, 61). Für die Missbrauchsvermeidung sind Art. 1 Abs. 2 ff. MTR und Art. 5 ZLR in EU-Fällen grundsätzlich die gegenüber Art. 6 ATAD spezielleren Regelungen (vgl. Rz. 70). Das Verhältnis zum allgemeinen Grundsatz des Missbrauchsverbots bedarf hingegen einer differenzierteren Betrachtung: Zum einen bleibt dieser zwar im Ausgangspunkt neben nicht abschließenden Missbrauchsklauseln in Richtlinien (ergänzend) anwendbar (vgl. Rz. 25). Zum anderen ist er aber nicht mehr unmittelbar anwendbar, wenn das nationale Recht bereits eine Missbrauchsvermeidungsnorm wie § 50d Abs. 3 EStG enthält (vgl. Rz. 27). Davon unberührt bleibt aber die Einwirkung des allgemeinen Grundsatzes des Missbrauchsverbots als Auslegungsmaßstab für Art. 1 Abs. 2 ff. MTR bzw. Art. 5 ZLR (vgl. Rz. 27.1). Zu möglichen zukünftigen Auswirkungen der ATAD III s. Rz. 73 ff., 83 f.
- Wird ein Anspruch auf der Grundlage eines DBA mit einem Drittstaat versagt und ist deshalb auf den betroffenen Sachverhalt die MTR oder ZLR nicht anwendbar, so stellt sich die Frage, ob § 50d Abs. 3 EStG eine Umsetzung des Art. 6 ATAD darstellt (vgl. Rz. 66 ff.). Nach hier vertretener Ansicht bleiben neben Art. 6 ATAD aber auch die Grundfreiheiten anwendbar (vgl. Rz. 71), wobei im Drittstaaten-Sachverhalt die Frage zu beantworten ist, ob § 50d Abs. 3 EStG an der Kapitalverkehrsfreiheit zu messen ist (vgl. ausf. Rz. 109 ff.).
Rz. 14
§ 50d Abs. 3 i.V.m. § 43b EStG (EU-Fälle). Über den Verweis des § 43 Abs. 1 Halbs. 2 EStG findet § 50d Abs. 3 EStG auf Entlastungsansprüche nach § 43b EStG entsprechende Anwendung. Versagt § 50d Abs. 3 EStG den Anspruch nach § 43b EStG, stellt dies einen Verstoß gegen Art. 5 MTR dar, soweit § 50d Abs. 3 EStG über den Missbrauchsvorbehalt des Art. 1 Abs. 2 ff. MTR hinausgeht (vgl. Rz. 46, 53). Im Übrigen stellt die Regelung des § 43 Abs. 1 Halbs. 2 i.V.m. § 50d Abs. 3 EStG eine Umsetzung der Mindestvorgaben der spezialgesetzlichen Missbrauchsvermeidungsnorm des Art. 1 Abs. 2 MTR dar, was insoweit einen Verstoß gegen Art. 5 MTR ausschließt. Art. 1 Abs. 2 MTR verpflichtet oder ermächtigt nicht zu einer diskriminierenden Missbrauchsvermeidung, sodass sich § 50d Abs. 3 EStG – auch wenn er sich inhaltlich innerhalb der Vorgaben des Art. 1 Abs. 2 ff. MTR bewegt – zugleich auch an den Grundfreiheiten messen lassen muss (vgl. Rz. 54). Für die Missbrauchsvermeidung ist Art. 1 Abs. 2 ff. MTR grundsätzlich die gegenüber Art. 6 ATAD speziellere Regelung (vgl. Rz. 70). Das Verhältnis zum allgemeinen Grundsatz des Missbrauchsverbots bedarf hingegen einer differenzierteren Betrachtung: Zum einen bleibt dieser zwar im Ausgangspunkt neben nicht abschließenden Missbrauchsklauseln in Richtlinien (ergänzend) anwendbar (vgl. Rz. 25). Zum anderen ist er aber nicht mehr unmittelbar anwendbar, wenn das nationale Recht bereits eine Missbrauchsvermeidungsnorm wie § 50d Abs. 3 EStG enthält (vgl. Rz. 27). Davon unberührt bleibt aber die Einwirkung des allgemeinen Grundsatzes des Missbrauchsverbots als Auslegungsmaßstab für Art. 1 Abs. 2 ff. MTR (vgl. Rz. 27.1). Zu möglichen zukünftigen Auswirkungen der ATAD III s. Rz. 73 ff., 83 f.
Rz. 15