Rz. 73
Überblick. Am 22.12.2021 hat die EU-Kommission einen Entwurf einer "Richtlinie zur Festlegung von Vorschriften zur Verhinderung der missbräuchlichen Nutzung von Briefkastenfirmen ("shell entities") für Steuerzwecke und zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU [EU-Amtshilferichtlinie]" (kurz: ATAD III-E) vorgelegt. Der Vorschlag der ATAD III-E geht zurück auf die Kommissionsmitteilung über eine "Unternehmensbesteuerung für das 21. Jahrhundert" vom 18.5.2021; sie ist dort als zweite Maßnahme zur "Gewährleistung einer fairen und effektiven Besteuerung" vorgesehen, die bewusst über die Vorgaben der OECD hinausgehen soll. Die ATAD III-E enthält erstaunlich weitgehende Vorschriften, die auch Bedeutung für § 50d Abs. 3 EStG haben könnten (vgl. Rz. 84). Die Vorgaben der ATAD III-E sollen bis zum 30.6.2023 in den nationalen Rechtsordnungen umgesetzt und ab dem 1.1.2024 angewendet werden (Art. 18 ATAD III-E). Das Gesetzgebungsverfahren befand sich zum Zeitpunkt der Drucklegung erst in der Zuleitung an den Rat. Ob der Richtlinienvorschlag vom Unionsgesetzgeber angenommen werden wird, ist zu diesem Zeitpunkt noch unklar. Gleichwohl soll bereits ein Überblick über den Regelungsinhalt gegeben (Rz. 74 ff.) und sollen mögliche Folgewirkungen für § 50d Abs. 3 EStG dargestellt werden (Rz. 84):
Rz. 74
Regelungsinhalt und Anwendungsbereich. Nach Art. 1 ATAD III-E sollen mit den Regelungen der ATAD III-E für in der EU steueransässige Unternehmen Kennzeichen für die Ermittlung einer Mindestsubstanz definiert sowie steuerrechtliche Regelungen für diejenigen Unternehmen aufgestellt werden, die diese Mindestsubstanzkennzeichen nicht erfüllen. Damit erfasst Art. 1 ATAD III-E die Regelungsinhalte der ATAD III-E aber nicht vollständig. Vielmehr stellen sich die Regelungsinhalte wie folgt dar:
- Erklärungs- und Nachweispflicht über (Nicht-)Erfüllen spezifisch definierter Mindestsubstanzkennzeichen (Art. 6 f. ATAD III-E) (vgl. Rz. 75 ff.).
- Automatischer Informationsaustausch über die erklärten Informationen und bestimmte weitere Daten (Art. 8ad RL 2011/16/EU, geändert durch Art. 13 Abs. 2 ATAD III-E) sowie Antragsrecht eines Mitgliedstaats auf Durchführung von Betriebsprüfungen in einem anderen Mitgliedstaat (Art. 15 ATAD III-E) (vgl. Rz. 78).
- Materiell-rechtliche Steuerregelungen im Quellenstaat (Art. 11 Abs. 1 ATAD III-E: Versagung von Entlastung aufgrund DBA, MTR, ZLR; Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 4, Abs. 3 ATAD III-E: Erhebung einer Quellensteuer, vgl. Rz. 81 f.), im Ansässigkeitsstaat des Unternehmens (Art. 12 ATAD III-E: Versagung oder eingeschränkte Erteilung einer Ansässigkeitsbescheinigung, vgl. Rz. 82) und im Ansässigkeitsstaat der Gesellschafter des Unternehmens (Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 1 bis 3 ATAD III-E: Hinzurechnungsbesteuerung, vgl. Rz. 82) auf der Basis einer (widerlegbaren) Vermutung über das Fehlen einer Mindestsubstanz, die dadurch begründet wird, dass das EU-Unternehmen nicht alle Mindestsubstanzkennzeichen erfüllt oder den Nachweis über deren Vorliegen nicht erbringt (Art. 8 f. ATAD III-E, vgl. Rz. 79 f.).
Rz. 75
Erklärungs- und Nachweispflicht über Mindestsubstanz. Zunächst verpflichtet Art. 7 Abs. 1 ATAD III-E die Mitgliedstaaten zur Einführung einer Erklärungspflicht über das (Nicht-)Erfüllen bestimmter Mindestsubstanzkennzeichen gegenüber den Finanzbehörden des Ansässigkeitsstaats, der dort im Rahmen der jährlichen Steuererklärung nachzukommen ist. Verbunden ist die Erklärungspflicht mit einer Pflicht zur Vorlage von entsprechenden Nachweisen (Nachweispflicht, Art. 7 Abs. 2 ATAD III-E). Die Erklärungspflicht soll für solche Unternehmen gelten, die ein objektives Risiko dafür aufweisen, (i) die in Art. 7 ATAD III-E definierten Mindestsubstanzkennzeichen nicht zu erfüllen und zugleich (ii) ihrem Hauptzweck nach der Erlangung eines steuerlichen Vorteils zu dienen (sog. "undertakings at risk" bzw. "reporting undertakings"). Damit sollen die Erklärungs- und Nachweispflichten unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur für besonders risikoträchtige Unternehmen (undertakings at risk) gelten. Um nach Art. 6 ATAD III-E als erklärungspflichtiges reporting undertaking zu qualifizieren, müssen drei kumulative sog. „ gateway criteria ” erfüllt werden:
- „ relevant-income-criterion ” (Art. 6 Abs. 1 Buchst. a ATAD III-E): Entweder bestehen (i) mehr als 75 % der Summe der Nettoumsätze ("revenues", vgl. Art. 3 Abs. 3 ATAD III-E) der vergangenen zwei Veranlagungszeiträume aus sog. "relevant income" i.S.d. Art. 4 ATAD III-E (dies sind passive Einkünfte aus geografisch mobilen Tätigkeiten, insb. Zinsen, Lizenzgebühren, Dividenden, Erträge aus Finanzierungsleasing, unbeweglichem Vermögen, privat genutzte bewegliche Wirtschaftsgüter mit einem Buchwert über 1 Mio. EUR) oder (ii) mehr als 75 % der Buchwerte bestehen alternativ aus (a) unbeweglichem Vermögen i.S.d. Art. 4 Buchst. e ATAD III-E oder (b) privat genutztem beweglichem Vermögen über 1 Mio. ...