Rz. 40
Beweislast. In den Danish Cases hat der EuGH zudem die verfahrensrechtlichen Anforderungen an die Feststellung bzw. den Nachweis eines Missbrauchs durch die Finanzbehörden zusammengefasst (s. zu den Folgen auf die Beweislast bei § 50d Abs. 3 EStG Rz. 628):
- Will die Finanzbehörde einen unionsrechtlichen Vorteil wegen eines Missbrauchs versagen, so muss sie nachweisen, dass die Tatbestandsmerkmale eines Missbrauchs (d.h. sowohl das objektive als auch das subjektive Element, vgl. Rz. 30 ff.) erfüllt sind. Die Behörde hat dabei im Wege einer Einzelfallbetrachtung objektive Umstände nachzuweisen, aus denen sich sowohl das Vorliegen des objektiven als auch des subjektiven Elements ergibt (vgl. zur Ermittlung anhand objektiver Umstände auch Rz. 31.4). Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich beide Elemente des Missbrauchsbegriffs in Teilen überschneiden und daher der Nachweis beider Elemente auch auf einem einheitlichen Beweis beruhen kann. Angeknüpft werden kann etwa an die Künstlichkeit der Gestaltung, deren fehlende wirtschaftliche Substanz oder an die Tatsache, dass eine Gestaltung nur mit der Erlangung eines (zweckwidrigen) steuerlichen Vorteils erklärt werden kann. Eine nationale Regelung ist hingegen unverhältnismäßig und daher unionsrechtswidrig, wenn der Steuerpflichtige zur Erlangung des Vorteils stets zusätzlich beweisen muss, dass die Merkmale eines Missbrauchs nicht vorliegen. Ob diese Vorgaben eingehalten wurden, hängt letztlich von der Konzeption der nationalen Norm ab, da die nationalen Behörden und Gerichte als Rechtsanwendungsorgane dieses Recht anzuwenden und zu beachten haben. Aus dieser Normkonzeption muss sich ergeben, dass die Behörde zur Versagung des Vorteils im Wege einer Einzelfallprüfung tragfähige Missbrauchsindizien nachweisen muss und dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit eröffnet wird, die Missbrauchsindizien bzw. die Missbrauchsvermutung zu entkräften. Ferner ist zu beachten, dass Fragen der Beweislast nur Tatsachen-, keine Rechtsfragen der Auslegung des gesetzlichen Tatbestands und der Subsumtion betreffen: Ob (nach Klärung der Tatsachen) eine Gestaltung dem Zweck des Gesetzes widerspricht, ein mit der Gestaltung verfolgter Zweck einer der "Hauptzwecke" der Gestaltung oder eine Gestaltung rein künstlicher Natur war, ist eine durch das Gericht oder die Behörde von Amts wegen zu klärende Rechtsfrage (s.a. § 50d Abs. 3 EStG Rz. 522). S. zu Einzelheiten Rz. 41 ff.
- Die Finanzbehörde muss hingegen nicht den Nutzungsberechtigten der Einkünfte bestimmen. Es reicht, wenn sie lediglich nachweist, dass die den Anspruch geltend machende Gesellschaft jedenfalls nicht der Nutzungsberechtigte, sondern eine missbräuchlich zwischengeschaltete "Durchleitungsgesellschaft" ist. Der Gesellschaft bleibt es dann unbenommen, nachzuweisen, wer Nutzungsberechtigter der Einkünfte ist, um die Rechtsfolge des Missbrauchsverbots auf die Versagung des Vorteils zu beschränken, der durch die Einschaltung der Durchleitungsgesellschaft erzielt wurde (vgl. Rz. 44).
Rz. 41
Einzelheiten zu konzeptionellen Anforderungen. In der Rechtsprechung des EuGH haben sich konkrete Anforderungen für die unionsrechtlich zulässige Anwendung des Missbrauchsverbots herausgebildet, die sich allesamt aus der – auch im Bereich der Missbrauchsvermeidung bestehenden – Bindung an den unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergeben. Diese Anforderungen betreffen gleichermaßen die Anwendung des allgemeinen Grundsatzes des Missbrauchsverbots (vgl. Rz. 25.1) als auch die unionsrechtlichen Anforderungen an die Konzeption und Anwendung einer nationalen Norm, die mit dem Ziel der Missbrauchsvermeidung gerechtfertigt werden soll. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH muss eine nationale Vorschrift, damit sie dem unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügt, den von ihrem Normzweck adressierten Missbrauch hinreichend spezifisch bzw. zielgenau erfassen (vgl. Rz. 42). Dies betrifft bereits den Tatbestand der Norm, ohne Berücksichtigung der (zwingenden) Möglichkeit eines Gegenbeweises: Allein die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit eines Gegenbeweises kompensiert nicht die mangelnde Indizwirkung einer gesetzlichen Missbrauchsvermutung und macht eine Missbrauchsvermeidungsnorm, deren Tatbestandsmerkmale keine ernsthaften Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Missbrauchs liefern, nicht per se unionsrechtskonform. Vielmehr muss der Steuerpflichtige dann – gesetzlich getarnt in Form eines "Gegenbeweises" – das Nichtvorliegen eines Missbrauchs nachweisen, was nach ständiger Rechtsprechung des EuGH unionsrechtswidrig ist. Daraus lässt sich ableiten, dass der Tatbestand einer nationalen Missbrauchsvermeidungsnorm aus unionsrechtlicher Sicht (i) zielgenau (d.h. hinreichend tragfähig) einen Missbrauch indizieren (keine "allgemeine Vermutung") und – darüber hinaus – (ii) widerlegbar sein muss (keine "unwiderlegbare Vermutung"):
Rz. 42
Tragfähige (keine allgemeine) M...