Dr. Xaver Ditz, Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer
Rz. 12
ATAD als Teil des Anti-Tax-Avoidance-Pakets der EU. Die EU hat sehr schnell auf das BEPS-Projekt der G20-Staaten/OECD reagiert, mit dem Ziel, selbst Maßnahmen gegen "Base Erosion and Profit Shifting" zu entwickeln. So wurde bereits am 8.7.2017 die Mutter-Tochter-Richtlinie angepasst und ein Korrespondenzprinzip für grenzüberschreitende Gewinnausschüttungen zwischen Tochter- und Muttergesellschaft eingeführt. Diese Änderung geht auf den BEPS-Aktionspunkt 2 der OECD zurück. Darüber hinaus hat die EU am 28.1.2016 ein Anti-Tax-Avoidance-Paket vorgestellt, das aus den folgenden Elementen besteht:
- Umsetzung einer Richtlinie zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarktes (Anti Tax Avoidance Directive),
- Änderung der Amtshilfe-Richtlinie zur Einführung eines automatisierten Informationsaustauschs des Country-by-Country Reports,
- Vorschläge zur Umsetzung der abkommensrechtlichen Gesichtspunkte der Aktionspunkte 6 und 7,
- Vorschlag an das Parlament und den Rat für eine Strategie zum Umgang mit Drittstaaten hinsichtlich der Umsetzung der Anti-BEPS-Maßnahmen,
- Studie zu den Strukturen einer aggressiven Steuerplanung.
Vor diesem Hintergrund ist die "Richtlinie (EU) 2016/1164 des Rates mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarktes" im Zusammenhang mit dem BEPS-Projekt der OECD und G20-Staaten sowie dem Maßnahmenpaket der EU gegen "Base Erosion and Profit Shifting" zu sehen. Die Richtlinie wurde am 12.7.2016 im Rat "Wirtschaft und Finanzen" (ECOFIN) verabschiedet und am 19.7.2016 im Amtsblatt der EU veröffentlicht. Die Anti Tax Avoidance Directive (ATAD), die auch als Anti-BEPS-Richtlinie bezeichnet wird, geht zurück auf einen Vorschlag der EU-Kommission v. 28.1.2016. Zwischen dem ersten Vorschlag der Richtlinie und ihrer Verabschiedung sind nur wenige Monate vergangen; so schnell konnte – soweit ersichtlich – noch keine Richtlinie der EU verabschiedet werden. Bei der ATAD handelt es sich um eine Richtlinie gem. Art. 288 AEUV. Ihre Ermächtigungsgrundlage ist Art. 115 AEUV, der zum Erlass von "Richtlinien für die Angleichung derjenigen Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, die sich unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Binnenmarktes auswirken" ermächtigt. Ob diese Voraussetzungen durch die ATAD erfüllt werden, ist umstritten (s. auch Rz. 13 und 17). Die ATAD ist von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umzusetzen, wobei den Mitgliedstaaten ein gewisser Ermessensspielraum hinsichtlich der Wahl der Form und der Mittel zur Umsetzung der Richtlinie zusteht. Es ist allerdings sicherzustellen, dass die Zielsetzungen der ATAD erreicht werden. Als sekundäres Unionsrecht genießt die ATAD einen Anwendungsvorrang gegenüber dem nationalen Recht.
Rz. 13
Ziel und Inhalt der ATAD I. Die Ziele der ATAD ergeben sich aus ihren Erwägungsgründen. So sei es – unter Verweis auf das BEPS-Projekt der OECD und G20-Staaten – "unbedingt erforderlich, dass das Vertrauen in die Fairness der Steuersysteme wiederhergestellt und den Regierungen eine wirksame Ausübung ihrer Steuerhoheit ermöglicht wird." Dazu "müssen die Mitgliedstaaten zumindest ihre BEPS-Verpflichtungen erfüllen und allgemeine Maßnahmen zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken und zur Gewährleistung einer fairen und wirksamen Besteuerung in der Union ergreifen und dabei in ausreichend kohärenter und koordinierter Weise vorgehen". Um "den durchschnittlichen Schutz gegen aggressive Steuerplanung im Binnenmarkt anzuheben" und "um der Aushöhlung der Steuerbemessungsgrundlage (Gewinnverkürzung) im Binnenmarkt und der Verlagerung von Gewinnen in Drittländer entgegenzuwirken", enthält die ATAD folgende Maßnahmen:
- Begrenzung der Abzugsfähigkeit von Zinszahlungen (Art. 4 ATAD),
- Wegzugs- und Entstrickungsbesteuerung (Art. 5 ATAD),
- allgemeine Missbrauchsverhinderungsvorschrift (Art. 6 ATAD),
- Hinzurechnungsbesteuerung (Art. 7 und 8 ATAD),
- Maßnahmen gegen hybride Gestaltungen (Art. 9 ATAD).
Die vorstehend genannten Maßnahmen wirken für die Steuerpflichtigen grundsätzlich belastend. Insofern besteht ein bedeutender Unterschied der ATAD zu den bisherigen Richtlinien mit materiell steuerlichem Gehalt (MTRL, FRL und ZiLiRL), die sich für die Steuerpflichtigen begünstigend auswirken. Vor dem Hintergrund der belastenden Wirkung der ATAD ist im Schrifttum umstritten, ob Art. 115 AEUV als Ermächtigungsgrundlage zum Erlass der ATAD erfüllt ist (s. auch Rz. 12 und 17).
Rz. 14
Inhalt der ATAD II. Im Erwägungsgrund (13) der ATAD wurden bereits weitere Arbeiten zu hybriden Gestaltungen angekündigt. Vor diesem Hintergrund hat die Kommission am 25.10.2016 einen Richtlinienvorschlag bezüglich hybrider Gestaltungen mit Drittländern veröffentlicht, der am 6.12.2016 durch den ECOFIN beraten wurde. Am 21.2.20...