aa) Überblick
Rz. 193
Das ErbStAnpG v. 4.11.2016 hat das BewG als solches im Wesentlichen unverändert gelassen. Wie noch darzulegen sein wird (vgl. unten, Rz. 214), wurde allerdings der im Rahmen des vereinfachten Ertragswertverfahrens maßgebliche Kapitalisierungsfaktor in § 203 Abs. 1 BewG rückwirkend auf den 1.1.2016 auf 13,75 festgeschrieben und begrenzt sowie eine Ermächtigungsgrundlage für die Finanzverwaltung geschaffen, den Kapitalisierungsfaktor an ein sich veränderndes Zinsumfeld anzupassen.
Auch nach neuem Recht wird der bisherige Verschonungsmechanismus beim Übergang und bei der Übertragung von Betriebsvermögen grundsätzlich und mit einigen Modifikationen beibehalten. Allerdings kommt es durch die neuen Detailregelungen zum Teil zu einer deutlich von der alten Rechtslage abweichenden Steuerbelastung.
Rz. 194
Neben der Änderung der Unternehmensbewertung im vereinfachten Ertragswertverfahren (vgl. § 203 Abs. 1 BewG; vgl. Rz. 210 ff.), die abweichend von der grundsätzlichen Anwendbarkeit des ErbStAnpG v. 4.11.2016 ab 1.7.2016 bereits für alle Erwerbe ab 1.1.2016 anzuwenden ist, sind die folgenden Änderungen der erbschaft- und schenkungsteuerrechtlichen Steuervergünstigungen zu nennen (vgl. hierzu auch die komprimierte Darstellung bei der Einf. ErbStG Rz. 31):
Rz. 195
- Die Ermittlung des begünstigten (Betriebs-)Vermögens ist vom Gesetzgeber, um den Vorgaben des BVerfG (oben, Rz. 100 ff.) Rechnung zu tragen, neu geregelt worden. Im Unterschied zur bisherigen Rechtslage wird Verwaltungsvermögen grundsätzlich nicht mehr privilegiert.
Rz. 196
- Bezogen auf Erwerbe von Todes wegen ist eine sog. Investitionsklausel geschaffen worden (vgl. Rz. 227).
Rz. 197
- Die Befreiung von der sog. Lohnsummenregelung für kleine Unternehmen ist eingeschränkt worden (Rz. 233 ff.).
Rz. 198
- Bei Erwerben i.H.v. über 26 Mio. EUR werden die bisherigen Verschonungsregelungen modifiziert und eingeschränkt. Eine Verschonung erfolgt hier entweder in Form der neu eingeführten Verschonungsbedarfsprüfung oder durch Anwendung des neu geschaffenen Abschmelzungsmodells, wonach für Erwerbe in der Größenordnung von über 26 Mio. EUR bis zu rd. 90 Mio. EUR ein verringerter Verschonungsabschlag gewährt wird (Rz. 247 ff.).
Rz. 199
- Familiengesellschaften mit langfristigen Entnahme-, Verfügungs- und Abfindungsbeschränkungen werden zusätzlich durch einen Abschlag vom begünstigten Vermögen i.H.v. bis zu 30 % des gemeinen Werts der Beteiligung privilegiert (Rz. 271 ff.).
Rz. 200– 209
Einstweilen frei.
bb) Vereinfachtes Ertragswertverfahren; neuer Kapitalisierungsfaktor ab 1.1.2016 (§ 203 Abs. 1 BewG)
Rz. 210
Beim "vereinfachten Ertragswertverfahren" (§§ 199 bis 203 BewG) wird der regelmäßig aus den Betriebsergebnissen (§ 202 BewG) der letzten drei vor dem Bewertungsstichtag abgelaufenen Wirtschaftsjahre herzuleitende zukünftig nachhaltig zu erzielende Jahresertrag (vgl. § 201 BewG) mit einem Kapitalisierungsfaktor multipliziert, welcher aus dem Kapitalisierungszins abgeleitet wird. Maßgebend für die Unternehmensbewertung ist insoweit die Frage, wieviel Geld ein Investor am Kapitalmarkt anlegen müsste, um die gleichen Erträge wie das zu bewertende Unternehmen zu erzielen. Erhält ein Investor am Kapitalmarkt nur sehr geringe Zinsen, erscheint eine alternative Investition in ein Unternehmen umso attraktiver (lukrativer); der Wert der Unternehmensbeteiligung steigt entsprechend.
Rz. 211
Nach § 203 Abs. 1 BewG a.F. setzte sich der anzuwendende Kapitalisierungszinssatz aus einem Basiszinssatz und einem (Risiko-)Zuschlag von 4,5 % zusammen. Der Basiszinssatz war aus der langfristig erzielbaren Rendite öffentlicher Anleihen abzuleiten, der von der Deutschen Bundesbank jährlich auf den ersten Börsentag errechnet und vom BMF im BStBl. veröffentlicht wird (näher dazu in § 203 Abs. 2 BewG a.F.).
Der Kapitalisierungsfaktor entsprach gem. § 203 Abs. 3 BewG a.F. dem Kehrwert des Kapitalisierungszinssatzes.
Rz. 212
Beispiel:
Im Jahr 2016 betrug der Basiszins 1,1 %, so dass sich ein Kapitalisierungszinssatz von 1,1 % + 4,5 % = 5,6 % ergab. Der Kehrwert (= Kapitalisierungsfaktor) betrug folglich 100/5,6 = 17,8571.
Rz. 213
Infolge der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) stieg der Kapitalisierungsfaktor in den Ja...