Leitsatz
Es wird eine Entscheidung des BVerfG darüber eingeholt, ob § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG in der für den VZ 1996 maßgeblichen Fassung vom 25.2.1992 (BGBl I 1992, 297) mit dem GG insoweit unvereinbar ist, als der Antrag auf Veranlagung bis zum Ablauf des auf den VZ folgenden zweiten Kalenderjahrs zu stellen ist.
Normenkette
Art. 3 Abs. 1, Art. 100 Abs. 1 GG, § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG, § 80 Abs. 1, § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG
Sachverhalt
Der Kläger ist Diplom-Volkswirt und war im Streitjahr 1996 bei einer Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft angestellt. Er erzielte Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. In den Jahren 1993 bis 1996 bereitete sich der Kläger außerdem auf die Steuerberater-Prüfung vor, die er aber nicht bestand. Der Kläger gab am 30.12.2002 seine ESt-Erklärung für das Streitjahr beim FA ab.
Dieses lehnte die ESt-Veranlagung ab, da der Antrag auf Durchführung der Veranlagung nach Ablauf der Antragsfrist gestellt worden sei und Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vorlägen.
Entscheidung
Der BFH setzte das Verfahren aus und holte eine Entscheidung des BVerfG zu der o.a. Vorlagefrage ein. Nach der Überzeugung des VI. Senats ist § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG in der für den VZ 1996 maßgeblichen Fassung insoweit mit dem GG unvereinbar, als der Antrag auf Veranlagung bis zum Ablauf des auf den VZ folgenden zweiten Kalenderjahrs zu stellen ist. Hierin liege ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
Hinweis
Der BFH sieht in der 2-jährigen Ausschlussfrist für die Antragsveranlagung eine verfassungswidrige Benachteiligung von Arbeitnehmern gegenüber anderen Steuerpflichtigen, die von Amts wegen zur ESt veranlagt werden. Denn diese Steuerpflichtigen können bis zum Eintritt der Verjährung und damit noch nach bis zu 7 Jahren zu viel abgeführte Steuern vom FA zurückfordern. Der BFH hat deshalb dem BVerfG in zwei Verfahren die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob die 2-jährige Ausschlussfrist für die Antragsveranlagung gegen den allgemeinen Gleichheitssatz in Art. 3 Abs. 1 GG verstößt.
Der BFH geht in dem o.a. Vorlagebeschluss (ebenso wie in dem zeitgleich erlassenen Vorlagebeschluss VI R 49/04, BFH-PR 2006, 477) davon aus, dass steuerrechtliche Regelungen so auszugestalten sind, dass Gleichheit im Belastungserfolg für alle Steuerpflichtigen hergestellt werden kann. Der Gesetzgeber behandle Arbeitnehmer aber ungleich, indem er Erstattungsansprüche nach Ablauf der bezeichneten Ausschlussfrist ausschließe. Angesichts der EDV-gestützten Bearbeitung der Veranlagungen lasse sich die Ungleichbehandlung auch nicht (mehr) mit verwaltungstechnischen Gründen rechtfertigen. Fiskalische Erwägungen stellten ebenfalls keine hinreichenden Sachgründe zur Rechtfertigung der Ausschlussfrist dar.
Der VI. Senat geht insoweit davon aus, dass bei der Aufstellung der öffentlichen Haushalte nur diejenige ESt zur Finanzierung des Budgets in Ansatz gebracht wird, die sich bei zutreffender Steuerfestsetzung voraussichtlich ergibt; er geht nicht davon aus, dass die öffentlichen Haushalte von vornherein auf der Annahme aufbauen, im LSt-Abzugsverfahren von den Arbeitnehmern zuviel einbehaltene LSt letztlich nicht erstatten zu müssen.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 22.5.2006, VI R 46/05