Leitsatz
1. Allein der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens befreit den GmbH-Geschäftsführer nicht von der Haftung wegen Nichtabführung der einbehaltenen LSt.
2. Sind im Zeitpunkt der LSt-Fälligkeit noch liquide Mittel zur Zahlung der LSt vorhanden, besteht die Verpflichtung des Geschäftsführers zu deren Abführung so lange, bis ihm durch Bestellung eines (starken) Insolvenzverwalters oder Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Verfügungsbefugnis entzogen wird.
3. Die Haftung ist auch nicht ausgeschlossen, wenn die Nichtzahlung der fälligen Steuern in die dreiwöchige Schonfrist fällt, die dem Geschäftsführer zur Massesicherung ab Feststellung der Zahlungsunfähigkeit gem. § 64 Abs. 1 S. 1 GmbHG eingeräumt ist (Fortentwicklung der Senatsrechtsprechung im Hinblick auf die geänderte Rechtsprechung desBGH im Urteil vom 14.05.2007, II ZR 48/06, BFH/NV Beilage 2007, 470, Haufe-Index 1765423).
Normenkette
§ 34, § 69 AO, § 823 Abs. 2 BGB, § 41a EStG, § 118 FGO, § 64 GmbHG, § 17, § 18, § 21, § 22, § 129, § 130 InsO, § 266a StGB
Sachverhalt
Ein GmbH-Geschäftsführer hatte die LSt fristgerecht angemeldet, jedoch nicht abgeführt, obwohl er die dafür erforderlichen liquiden Mittel am Fälligkeitstag noch besaß. An diesem Tag hatte er jedoch Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH gestellt; denn dieser drohte die Insolvenz, nachdem wenige Tage zuvor einer der Gesellschafter seine Kreditzusage zurückgezogen hatte.
Das FA nahm deshalb den Geschäftsführer auf Haftung in Anspruch. Dieser verteidigte sich damit, dass nach der bei der Insolvenzrichterin und dem späteren Insolvenzverwalter bei der Antragstellung erhaltenen Auskunft er sich nicht länger berechtigt gefühlt habe, Zahlungen für die GmbH anzuweisen.
Entscheidung
Der BFH hat die Revision des FA gegen das stattgebende Urteil des FG zurückgewiesen. Der Geschäftsführer habe zwar objektiv pflichtwidrig gehandelt, angesichts der widersprüchlichen Rechtsprechung, die damals bestanden habe, beziehungsweise der durch diese Rechtsprechung noch nicht geklärten schwierigen Haftungsfragen ihm der Vorwurf grober Fahrlässigkeit jedoch nicht gemacht werden könne.
Hinweis
1. Die Nichtabführung einzubehaltender und anzumeldender LSt zu den gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten stellt bekanntlich regelmäßig eine zumindest grob fahrlässige Verletzung der Geschäftsführerpflichten dar (vgl. u.a. BFH, Urteil vom 27.02.2007, VII R 67/05, BFH/PR 2007, 400, BFH/NV 2007, 1732). Zahlungsschwierigkeiten ändern weder etwas an dieser Pflicht des GmbH-Geschäftsführers noch schließen sie sein Verschulden bei Nichterfüllung der steuerlichen Pflichten der GmbH aus. Die Haftung des Geschäftsführers entfällt auch nicht infolge einer im Fall der Entrichtung der LSt zum Fälligkeitstermin möglichen Anfechtung der Zahlung durch den Insolvenzverwalter nach §§ 129 ff. InsO. Die bloße Möglichkeit der Insolvenzanfechtung hindert nicht, den durch die pflichtwidrige Nichtabführung eingetretenen Steuerausfall dem Geschäftsführer zuzurechnen (keine Berücksichtigung von hypothetischen Kausalverläufen, BFH, Urteil vom 19.09.2007, VII R 39/05, BFH/NV 2008, 18).
2. Allerdings hat es in der Rechtsprechung des BFH einiges Hin und Her darüber gegeben, wie sich diese steuerrechtliche Pflicht des Geschäftsführers zu seiner gesellschaftsrechtlichen Pflicht verhält, bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Masse zu erhalten. Der BFH hatte zunächst (mit vielleicht etwas zweifelhaften Schachzügen) den Vorrang der LSt-Abführungspflicht zu verteidigen versucht, dann aber vor der Rechtsprechung des BGH kapituliert, der einen solchen absoluten Vorrang nicht gelten lassen wollte. Die Kompromisslinie bezeichnet das bereits zitierte Urteil vom 27.02.2007: Das zivilrechtliche Zahlungsverbot des § 64 Abs. 2 S. 1 GmbHG schließe eine Haftung wegen Nichtzahlung fälliger Steuern innerhalb einer dreiwöchigen Schonfrist vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus; in dieser Zeit müsse der Geschäftsführer Sanierungsmöglichkeiten prüfen dürfen, ohne bereits das Vermögen der GmbH weiter zu vermindern.
Nun aber hat der BGH entschieden (Urteil vom 14.05.2007, II ZR 48/06, BFH/NV Beilage 2007, 470), dass selbst für diesen Zeitraum die zivilrechtliche Haftung des Geschäftsführers wegen Steuerabführung entfalle, weil dem organschaftlichen Vertreter nicht angesonnen werden könne, die Massesicherungspflicht nach § 92 Abs. 3 des Aktiengesetzes (AktG) bzw. des § 64 Abs. 2 GmbHG zu erfüllen und fällige Leistungen an die Sozialkassen oder die Steuerbehörden nicht zu erbringen, wenn er sich dadurch einer persönlichen deliktischen Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB, aus § 34, § 69 AO oder der Bestrafung nach § 266a StGB aussetze.
Dem folgt jetzt der BFH für die LSt; hat also seine gerade erst im oben zitierten Urteil vom 27.02.2007 begründete Rechtsprechung gleich wieder aufgegeben!
3. Aber das konnte der Kläger der Besprechungsentscheidung natürlich nicht voraussehen. Der hatte sich zwar um Rechtsrat vielleicht nic...