Leitsatz
Vorruhestandsgelder, die aufgrund eines Manteltarifvertrags vereinbart werden, sind Teil der Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes. Erstreckt sich die Zahlung der Vorruhestandsgelder über mehr als einen Veranlagungszeitraum, ist mangels Zusammenballung eine begünstigte Besteuerung der Gesamtentschädigung zu versagen.
Normenkette
§ 24 Nr. 1 Buchst. a EStG , § 34 Abs. 1 EStG , § 3 Nr. 9 EStG
Sachverhalt
Die im Jahr 1937 geborene Klägerin war seit 1972 bei einer Versicherung angestellt. Im Oktober 1995 schloss die Klägerin mit ihrer Arbeitgeberin eine Vorruhestandsvereinbarung, die auf einem Manteltarifvertrag für Arbeitnehmer der Versicherungswirtschaft, die das 58. Lebensjahr vollendet und mindestens 10 Jahre einem Unternehmen angehört haben, beruhte. Nach der Vereinbarung sollte das Arbeitsverhältnis zum 30.4.1996 beendet werden und die Klägerin von Mai 1996 bis April 1997 ein monatliches Vorruhestandsgeld i.H.v. 80 % des letzten Bruttogehalts bekommen.
Mit dem Eintritt in den Vorruhestand erhielt die Klägerin zunächst einen Ausgleichsbetrag von 27.500 DM, der auf eine Zusatzempfehlung im Manteltarifvertrag zurückging und der Hälfte des Differenzbetrags zwischen dem Rückkaufswert und der erreichten Versicherungssumme aus einer Kapitallebensversicherung entsprach, die die Arbeitgeberin für die Klägerin abgeschlossen hatte. Die Vorruhestandsgelder beliefen sich im Streitjahr 1996 auf insgesamt 32.744 DM.
Das FA versagte die begünstigte Besteuerung der Ausgleichszahlung und beließ die Vorruhestandsgelder steuerfrei. Das FG gab der Klage zu einem geringen Teil statt; die Ausgleichszahlung sowie ein Teil der Vorruhestandsgelder i.H.v. 8.500 DM sei steuerfrei, der Restbetrag allerdings nicht steuerbegünstigt.
Entscheidung
Der BFH kam mit einer anderen Begründung zu dem gleichen Ergebnis. Der Klägerin sei eine Gesamtentschädigung zugesagt worden, die sich aus der Ausgleichszahlung und der Summe der Vorruhestandsgelder zusammensetze. Da die einheitliche Entschädigung nicht in einem Veranlagungszeitraum zusammengeballt zugeflossen sei, könne die Steuerbegünstigung nach § 34 EStG nicht gewährt werden. Von dem im Streitjahr zugeflossenen Entschädigungsbetrag sei ein Teilbetrag von 36.000 DM nach § 3 Nr. 9 EStG steuerfrei. Die Entscheidung des FG erweise sich damit im Ergebnis als zutreffend.
Hinweis
1. Das FG war in seiner Entscheidung davon ausgegangen, dass die Vorruhestandsgelder keine Entschädigungsleistungen, sondern Erfüllungsleistungen aus dem Arbeitsvertrag darstellten, weil deren Zahlung auf eine tarifvertragliche Regelung für das private Versicherungsgewerbe zurückzuführen war. Es konnte sich dabei auf ein Urteil des BFH stützen (vgl. BFH, Urteil vom 10.10.2001, XI R 7/01, BFH/NV 2002, 337). Zwischenzeitlich hat der BFH diese Rechtsprechung, die davon ausging, dass eine Zahlung dann nicht auf einer neuen Rechts- und Billigkeitsgrundlage beruhe, wenn sie bereits im Arbeitsvertrag für den Fall der Entlassung vereinbart worden ist, aber ausdrücklich aufgegeben (vgl. BFH, Urteil vom 10.9.2003, XI R 9/02, BFH-PR 2004, 122).
2. Im Besprechungsurteil kommt der BFH darum – anders als das FG – zu dem Ergebnis, dass die Vorruhestandsgelder Teil der Entschädigung sind, die die Arbeitgeberin der Klägerin für entgehende Einnahmen aufgrund des Arbeitsplatzverlusts gezahlt hat. Nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit einer Entschädigung (vgl. dazu BFH, Urteil vom 14.8.2001, XI R 22/00, BFH-PR 2002, 121) hat die Klägerin somit eine Gesamtentschädigung – bestehend aus der Ausgleichszahlung und der Summe der Vorruhestandsleistungen – erhalten. Diese Gesamtentschädigung kann deshalb nicht begünstigt nach § 34 EStG besteuert werden, weil sie nicht zusammengeballt in einem Veranlagungszeitraum zugeflossen ist.
3. Allerdings liegen die Voraussetzungen für die Steuerfreiheit eines Teilbetrags i.H.v. 36.000 DM der Gesamtentschädigung (= Abfindung) nach § 3 Nr. 9 EStG vor. Denn die Auflösung des Dienstverhältnisses war von der Arbeitgeberin "veranlasst", weil diese – dem Manteltarifvertrag entsprechend – mit dem Vorruhestandsabkommen einen Beitrag zur Entspannung der von hoher Arbeitslosigkeit gekennzeichneten Arbeitsmarktlage leisten wollte.
4. Das FG hatte die Revision zur Klärung der grundsätzlichen Frage zugelassen, ob einem entlassenen Arbeitnehmer ein Wahlrecht zusteht, auf welche Teilbeträge der Abfindung der Steuerfreibetrag nach § 3 Nr. 9 EStG angewendet werden soll. Diese in der Literatur umstrittene Frage musste der BFH jedoch offen lassen, weil es bei der Annahme einer Gesamtentschädigung keinen Unterschied macht, ob der Freibetrag auf die Ausgleichszahlung oder auf die Vorruhestandszahlungen angewendet wird. Nach der Entscheidung des FG, das lediglich die Ausgleichszahlung als begünstigte Entschädigung angesehen hatte, konnte die Klägerin nicht in den Genuss der Steuerbegünstigung kommen, weil das FG den Steuerfreibetrag bereits auf die Ausgleichszahlung und nicht, wie von der Klägerin beantragt, auf die Vorruhest...