Leitsatz
1. Die Erhebung von Säumniszuschlägen ist sachlich unbillig, wenn dem Steuerpflichtigen die rechtzeitige Zahlung der Steuer wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unmöglich ist und deshalb die Ausübung von Druck zur Zahlung ihren Sinn verliert. Das FA ist regelmäßig nicht verpflichtet, bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung des Steuerpflichtigen mehr als die Hälfte der verwirkten Säumniszuschläge zu erlassen.
2. Die Frage, ob seit Eröffnung des Konkursverfahrens laufende Säumniszuschläge gem. § 63 Nr. 1 KO im Konkursverfahren nicht geltend gemacht werden dürfen, kann in einem vom Konkursverwalter angestrengten Verfahren wegen Erlasses aus Billigkeitsgründen nicht entschieden werden. Hierüber ist gem. § 251 Abs. 3 AO a.F. durch Feststellungsbescheid zu entscheiden.
3. Für den Erlass der Säumniszuschläge zur Lohnsteuer gelten keine Besonderheiten.
Normenkette
§ 227 AO , § 240 AO , § 251 Abs. 3 AO a.F. , § 63 Nr. 1 KO , § 144 Abs. 1 KO , § 145 Abs. 2 KO , § 39 InsO
Sachverhalt
Das FA hatte Steuerforderungen und hierauf zu entrichtende Säumniszuschläge zur Konkurstabelle angemeldet. Der Konkursverwalter (Kläger) beantragte erfolglos den Erlass sämtlicher Säumniszuschläge, soweit sie über den Tag der Sequestrationsanordnung hinaus berechnet worden sind.
Das FA erließ daraufhin die Hälfte. Einen Erlass der Säumniszuschläge zur Lohnsteuer wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung lehnte das FA – bestätigt vom FG – ab, da die Annahme einer Zahlungsunfähigkeit hinsichtlich der Lohnsteuer begrifflich schon deshalb ausscheide, weil der Arbeitgeber in keinem Fall mit der einzubehaltenden und abzuführenden Lohnsteuer belastet werde.
Entscheidung
Die Revision des Klägers hatte nur zum Teil Erfolg. Wegen der Säumniszuschläge zur Lohnsteuer muss das FA unter Beachtung der genannten Grundsätze erneut entscheiden. Im Übrigen wies der BFH die Revision aus den in den Praxis-Hinweisen erläuterten Gründen als unbegründet zurück.
Hinweis
1. Sachlich unbillig ist die Erhebung von Säumniszuschlägen nach ständiger Rechtsprechung insoweit, als dem Steuerpflichtigen die rechtzeitige Zahlung der Steuer wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unmöglich ist und deshalb die Ausübung von Druck zur Zahlung ihren Sinn verliert. Das FA ist aber regelmäßig nicht verpflichtet, bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung des Steuerpflichtigen mehr als die Hälfte der verwirkten Säumniszuschläge zu erlassen, da die Säumniszuschläge auch nach Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit weiterhin dem Zweck dienen, vom Steuerpflichtigen eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern zu erhalten.
Die Säumniszuschläge zur Lohnsteuer sind unter denselben Voraussetzungen gem. § 227 AO zu erlassen wie die übrigen Säumniszuschläge. Diese Grundsätze gelten auch für nach Stellung des Konkurs-/Insolvenzantrags entstandene Säumniszuschläge zur Lohnsteuer. Dass der Schuldner der Lohnsteuer gem. § 38 Abs. 2 Satz 1 EStG der Arbeitnehmer ist und der Arbeitgeber nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG für die Lohnsteuer haftet, ist, was die Säumniszuschläge betrifft, unerheblich.
2. Nach § 63 Nr. 1 KO konnten seit der Eröffnung des Konkursverfahrens laufende Zinsen im Konkursverfahren nicht geltend gemacht werden. Hierunter fallen wohl auch Säumniszuschläge, soweit sie nicht bereits wegen der Insolvenz des Steuerschuldners zu erlassen waren und erlassen worden sind, denn im Rahmen des § 39 InsO – der an die Stelle des § 63 KO getreten ist – stellt die Finanzverwaltung die Säumniszuschläge ausdrücklich den in § 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO genannten Zinsen gleich (BMF vom 17.12.1998, BStBl I 1998, 1500, unter 4.4). Im Rahmen des § 63 Nr. 1 KO kann kaum anderes gelten. Die nach Eröffnung des Konkursverfahrens anfallenden Säumniszuschläge durften demnach nicht im Konkursverfahren geltend gemacht werden.
Vorsicht im Konkurs- bzw. jetzt Insolvenzverfahren: Ein Widerspruch im Prüfungsverfahren ist erforderlich! Hat das FA die nach Eröffnung des Konkursverfahrens entstandenen Säumniszuschläge zur Tabelle angemeldet und widerspricht im Prüfungstermin weder der Konkursverwalter noch ein Konkursgläubiger, so gilt die Steuerforderung nach Bestand, Betrag und Vorrecht als festgestellt (§ 144 Abs. 1 KO). Die Eintragung in die Konkurstabelle wirkt hinsichtlich der festgestellten Forderung wie ein rechtskräftiges Urteil gegenüber allen Konkursgläubigern (§ 145 Abs. 2 KO). Die Forderung als solche kann von diesen Beteiligten nicht mehr mit Rechtsmitteln angefochten werden.
Bei dieser Sachlage sind im Billigkeitsverfahren geltend gemachte Einwendungen gegen die sachliche Richtigkeit der Konkursanmeldung (nur) nach denselben Grundsätzen zu berücksichtigen wie in einem Erlassverfahren erhobene Einwendungen gegen bestandskräftig festgesetzte Steuern: Nach ständiger Rechtsprechung wird vielmehr eine sachliche Überprüfung bestandskräftiger Steuerfestsetzungen im Billigkeitsverfahren lediglich dann zugelassen, wenn die Steuerfestsetzung offensichtlich und eindeutig falsch ist und...