Leitsatz
Ein Steuerpflichtiger, der eine von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellte sog. Unternehmerbescheinigung i.S.d. § 61 Abs. 3 UStDV 1993 vorlegt, ist nur dann nicht als in diesem Mitgliedstaat ansässig anzusehen, wenn gewichtige Anhaltspunkte gegen die Richtigkeit der Bescheinigung sprechen.
Normenkette
§ 18 Abs. 9 UStG , § 61 Abs. 3 UStDV , Art. 1 8. EG-RL , Art. 3 Buchst. b 8. EG-RL
Sachverhalt
Die Klägerin, eine GmbH (Schiffstransporte auf dem Rhein), hatte ihren erklärten Sitz im Streitjahr 1996 am Geschäftssitz einer Steuerberatungsgesellschaft in Luxemburg, war in Luxemburg im Handelsregister eingetragen und hatte eine luxemburgische USt-IdNr., wurde dort unter einer Steuernummer geführt. Sie hatte eine Bescheinigung der luxemburgischen Finanzverwaltung über ihre unbeschränkte Steuerpflicht vorgelegt. Ihr alleiniger Geschäftsführer (Wohnsitz in der Bundesrepublik) war als dessen Kapitän überwiegend auf dem Schiff (Heimathafen Luxemburg; luxemburgische Flagge).
Der Rechnungsverkehr sowie alle sonstigen Verwaltungsaufgaben, insbesondere Personalangelegenheiten, wurden von der Steuerberatungsgesellschaft D am angegebenen Firmensitz in Luxemburg abgewickelt. Andere Geschäftsführungsmaßnahmen, wie z.B. die Abwicklung der einzelnen Aufträge, erledigte der Geschäftsführer an Bord des Schiffes. Dort war er auch telefonisch erreichbar.
Das BfF lehnte den Antrag auf Vergütung von Vorsteuerbeträgen ab: die Klägerin sei nicht im Ausland ansässig, weil sie nicht nachgewiesen habe, dass sich der Ort ihrer Geschäftsleitung im Ausland befinde. So sah das auch das FG.
Entscheidung
Der BFH gab der Klage statt, es fehlten bei dem geschilderten Sachverhalt hinreichende Anhaltspunkte gegen die Richtigkeit der Bescheinigung. Allein die Tatsache, dass der Geschäftsführer zugleich Kapitän und deshalb auf dem Schiff einzelne Aufträge abwickelte und dort telefonisch erreichbar war, führte nicht zu einer Ansässigkeit der Klägerin im Inland.
Hinweis
Das Vorsteuer-Vergütungsverfahren (§ 18 Abs. 9 UStG, §§ 59 ff. UStDV) setzt voraus, dass der Unternehmer im Ausland ansässig ist. Der Begriff "ansässig" i.S.v. § 18 Abs. 9 Satz 1 UStG 1993 ist nicht anhand der Regelung des § 10 AO über die Geschäftsleitung auszulegen.
Die Regelung zur Vergütung von Vorsteuerbeträgen an im Ausland ansässige Unternehmer beruht auf Gemeinschaftsrecht (Art. 17 Abs. 4 der 6. EG-RL und hier der 8. EG-RL); gemeinschaftskonforme Auslegung ist geboten. Nach Art. 1 der 8. EG-RL gilt als nicht im Inland ansässiger Steuerpflichtiger derjenige Steuerpflichtige nach Art. 4 Abs. 1 6. EG-RL, der in diesem Gebiet "weder den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit noch eine feste Niederlassung, von wo aus die Umsätze bewirkt worden sind, noch – in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer festen Niederlassung – seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort gehabt hat".
Der Unternehmer muss der zuständigen Finanzbehörde durch behördliche Bescheinigung des Staates, in dem er ansässig ist, nachweisen, dass er als Unternehmer unter einer Steuernummer eingetragen ist (§ 61 Abs. 3 UStDV 1993; Art. 3 Buchst. b der 8. EG-RL). Das Vergütungsverfahren der 8. EG-RL bezweckt die Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen wegen unterschiedlicher steuerrechtlicher Regelungen. Steuerpflichtige sollen nicht unterschiedlich behandelt werden, je nachdem, in welchem Mitgliedstaat sie ansässig sind.
Ein Steuerpflichtiger, der eine von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellte sog. Unternehmerbescheinigung vorlegt, ist deshalb nur dann nicht als in diesem Mitgliedstaat ansässig anzusehen, wenn gewichtige Anhaltspunkte gegen die Richtigkeit der Bescheinigung sprechen. Dies kann z.B. der Fall sein, wenn anderslautende Auskünfte aus dem Mitgliedstaat vorliegen, der die Bescheinigung ausgestellt hat (vgl. BFH, Urteil vom 22.10.2003, V R 103/01, BFH/NV 2004, 297) oder wenn Tatsachen vorliegen, die dafür sprechen, dass der Steuerpflichtige in dem ausstellenden Staat nur seinen "rechtlichen Sitz" hat.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 22.1.2004, V R 71/01