Leitsatz
EuGH, Urteil v. 21.11.2024, C-624/23 (SEM Remont).
Sachverhalt
Bei dem bulgarischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um das Recht auf Vorsteuerabzug aus einer Rechnung ohne MwSt-Ausweis bzw. einem später erstellten Dokument, das nicht den Anforderungen an die Rechnungsangaben entspricht.
R ist Steuerpflichtige (Unternehmer) i. S. v. Art. 3 ZDDS. Bei einer Gesellschaft G, die in der Russischen Föderation, aber auch nach dem ZDDS registriert ist und im Bereich der Verleihung von Schiffen mit technischer Besatzung zur Ausführung von Baggerarbeiten im Rahmen von Wasserbauvorhaben tätig ist, und R handelt es sich nicht um verbundene Unternehmen.
Im August 2020 schloss G mit R einen Vertrag über die Ausführung von Baggerarbeiten im Hafen von Varna, wonach G der dienstleistende Unternehmer und R der Leistungsempfänger war. G stellte R zwei Rechnungen über die ausgeführten vertraglichen Tätigkeiten aus. In beiden Rechnungen wurde jedoch keine MwSt auf den Wert der Dienstleistungen ausgewiesen. G hatte bereits vor dem Zeitpunkt der Dienstleistungserbringung und der Rechnungsstellung an R einen Umsatz erreicht, der zwingend die Registrierung nach dem ZDDS erforderte, war jedoch zum Zeitpunkt der Ausstellung der Rechnungen an R der Verpflichtung zur Registrierung nach dem ZDDS nicht nachgekommen. Seitens R wurden Erklärungen über abgeschlossene und abgenommene Bagger- und Aushubarbeiten vorgelegt.
Mit Schreiben vom Juli 2021 erstellte G im Rahmen einer bei ihr durchgeführten Steuerprüfung ein Protokoll nach Art. 117 Abs. 1 ZDDS, in dem als leistungserbringende und als leistungsempfangende Organisation G, also ein und dieselbe Person, eingetragen war und in dem die Rechnungen Nr. 1010 und Nr. 1017 mit jeweils ausgewiesener Steuerbemessungsgrundlage und entsprechend berechneter MwSt aufgeführt waren. Auf der Grundlage dieses Protokolls nahm R die in den genannten Rechnungen aufgeführten Dienstleistungen in ihre Mehrwertsteuererklärung und ihr Beschaffungsbuch als Dienstleistungen auf, für die ein Recht auf Vorsteuerabzug für den Steuerzeitraum v. 1.12. bis 31.12.2021 besteht.
Die bulgarische Steuerbehörde versagte den Vorsteuerabzug. R wandte sich gegen diese Versagung und machte geltend, dass sie durch die Angabe des von G ausgestellten Protokolls aus folgenden Gründen zum Vorsteuerabzug berechtigt sei:
- G sei eine für die Zwecke des ZDDS registrierte Person;
- die Steuer sei mit dem o.g. Protokoll berechnet worden;
- R sei eine nach dem ZDDS registrierte Person;
- die Dienstleistungen seien steuerbar in Bulgarien;
- die Dienstleistungen seien tatsächlich erbracht worden;
- R nutze das Ergebnis der empfangenen Dienstleistungen in ihrer gewerblichen Tätigkeit, d. h. für die anschließende Erbringung von steuerbaren Dienstleistungen;
- die geschuldete MwSt sei von G in der Steuererklärung angegeben und ordnungsgemäß an den Fiskus entrichtet worden.
Die bulgarische Steuerbehörde war der Ansicht, dass zum Zeitpunkt der Erstellung des o.g. Protokolls noch kein Steuertatbestand erfüllt gewesen und noch kein Steueranspruch entstanden sei. R habe die Voraussetzungen nach Art. 71 ZDDS nicht erfüllt, da sie nicht im Besitz einer Rechnung mit ausgewiesener MwSt, sondern lediglich eines Protokolls gewesen sei, das ausschließlich die Schätzungen der von der verspätet nach dem ZDDS registrierten G geschuldeten MwSt zwischen der G und der Steuerbehörde regele und folglich keinen geeigneten Nachweis für das Bestehen des Rechts auf Vorsteuerabzug darstelle. Ferner begründe das Protokoll keine Mehrwertsteuerschuld von R, da nach den Angaben im Protokoll R nicht als Dienstleistungsempfänger aufgeführt sei. Das Protokoll sei ein eigenständiges, von der Rechnung zu unterscheidendes Dokument, mit dem G die MwSt für den [betreffenden] Zeitraum im Reverse-Charge-Verfahren berechne und sich verpflichte, die Steuer zu entrichten, indem sie sie in der Mehrwertsteuererklärung angebe. Das entsprechende Protokoll könne weder i. S. der MwStSystRL noch i. S. des ZDDS als Rechnung angesehen werden, da es weder die dafür erforderlichen Angaben noch eine Grundlage dafür enthalte, dass R als Dienstleistungsempfänger die Steuer schulde.
Der vorliegende Rechtsstreit unterschied sich nach Auffassung des Vorlagegerichts von den Sachverhalten früherer EuGH-Entscheidungen. So ging es im EuGH-Urteil vom 21.6.2012 um die Frage nach der Begehung von Unregelmäßigkeiten durch den Dienstleistungserbringer oder einen seiner Lieferer sowie um die Anforderungen an den Dienstleistungsempfänger, sich bei der Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug zu vergewissern, dass sein Lieferer ein Steuerpflichtiger ist. Im EuGH-Urteil vom 6.2.2014 wurde untersucht, ob die nationale Steuerverwaltung einer Person, für die das Reverse-Charge-Verfahren (Umkehrung der Steuerschuldnerschaft) gilt, die jedoch die MwSt an den Lieferer gezahlt hat, da sie in der von diesem ausgestellten Rechnung ausgewiesen war, das Recht auf Vorsteuerabzug verweigern kann. Ausweislich der Begründung und de...