Leitsatz
Ein Umsatz, der nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. e der 6. EG-RL innerhalb eines Mitgliedstaats von der Mehrwertsteuer befreit ist, eröffnet ungeachtet der im Bestimmungsmitgliedstaat anwendbaren Mehrwertsteuerregelung kein Recht auf Vorsteuerabzug nach Art. 17 Abs. 3 Buchst. b dieser RL, selbst wenn es sich um einen innergemeinschaftlichen Umsatz handelt.
Normenkette
Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. e, 17 Abs. 3 Buchst. b und 28c Teil A der 6. EG-RL (vgl. § 4 Nr. 14 Buchst. b, § 12 Abs. 2 Nr. 6, § 15 UStG)
Sachverhalt
Eurodental (Sitz in Luxemburg) fertigte für in Deutschland niedergelassene Kunden Zahnersatz. Das luxemburgische FA lehnte den Vorsteuerabzug unter Hinweis auf die in Luxemburg geltende Befreiung ab.
Entscheidung
Der EuGH entschied, wie im Leitsatz wiedergegeben. Der EuGH hat ausdrücklich der Auffassung der deutschen Regierung widersprochen, aus der Sonderregelung über Anlagegold (Art. 26b Teil G Abs. 1 der 6. EG-RL) könnten allgemein für Steuerbefreiungen geltende Folgerungen gezogen werden. Vielmehr unterliege jede der – außerhalb Art. 13 geregelten – Steuerbefreiungen eigenen Regeln, deren Inhalt und Zielsetzung unterschiedlich sei.
Hinweis
1. Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. e der 6. EG-RL befreit die "von Zahntechnikern im Rahmen ihrer Berufsausübung erbrachten Dienstleistungen und die von diesen durchgeführte Lieferung von Zahnersatz". Für die entsprechenden Eingangsumsätze gibt es deshalb keinen Vorsteuerabzug.
2. Fraglich war, ob diese Befreiungsvorschrift maßgeblich ist (Folge: kein Vorsteuerabzug), wenn der Unternehmer in einen anderen Mitgliedstaat liefert und dieser Mitgliedstaat – zulässigerweise wie die Bundesrepublik (nach Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der 6. E G-RL i.V.m. Nr. 2 des Anhangs E) – die betreffende Leistung (hier: Lieferung von Zahnprothesen) nicht befreit hat (wie z.B. in § 4 Nr. 14 Buchst. b und § 12 Abs. 2 Nr. 6 UStG).
Denn innergemeinschaftliche Lieferungen sind nach Art. 28c Teil A Buchst. a Abs. 1 der 6. EG-RL zwar befreit; Art. 17 Abs. 3 Buchst. b der RL i.d.F. des Art. 28f Nr. 1 erlaubt aber den Vorsteuerabzug im Mitgliedstaat des Beginns der innergemeinschaftlichen Versendung oder Beförderung der Gegenstände. Fraglich war, ob der Unternehmer, obwohl die Leistung im Inland steuerbefreit wäre, dennoch den Vorsteuerabzug erhält, wenn die betreffende Leistung im anderen Mitgliedstaat steuerpflichtig ist.
2. Die 6. EG-RL erlaubt nur in Ausnahmefällen (u.a. in Art. 17 Abs. 3 Buchst. b) den Vorsteuerabzug für Gegenstände oder Dienstleistungen, die für steuerfreie Umsätze verwendet werden. Deshalb sind die in der RL in dieser Hinsicht verwendeten Begriffe eng auszulegen. Aus dem Zusammenhang der Vorschriften, insbesondere aus Art. 17 Abs. 3 Buchst. c ergibt sich, dass die in Art. 13 der 6. EG-RL befreiten Umsätze kein Recht auf Vorsteuerabzug begründen, selbst wenn diese Umsätze innergemeinschaftlichen Charakter haben. Die in Art. 13 Teil A der 6. EG-RL vorgesehenen Steuerbefreiungen gelten nur für bestimmte dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten, die dort einzeln aufgeführt und sehr genau beschrieben sind; sie sind – so der EuGH – von spezifischer Natur. Dagegen ist die Steuerbefreiung zugunsten innergemeinschaftlicher Umsätze allgemeiner Natur, da sie sich in unbestimmter Weise auf die wirtschaftlichen Tätigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten bezieht. Es entspricht deshalb der Systematik der 6. EG-RL, dass die spezifischen Steuerbefreiungen des Art. 13 Teil A (mit der Folge des Vorsteuerausschlusses) Vorrang haben. Hat also ein Mitgliedstaat Art. 13 ganz umgesetzt, ohne von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, bestimmte Umsätze weiter zu besteuern (Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der 6. EG-RL i.V.m. Nr. 2 des Anhangs E), bleibt es bei dem Verbot des Vorsteuerabzugs auch dann, wenn in einen Mitgliedstaat geliefert wird, der die betreffende Lieferung besteuert.
3. Von besonderer Bedeutung sind die Ausführungen des EuGH zum Einwand, ohne Vorsteuerabzug komme es zu Wettbewerbsverzerrungen, wenn ein Staat von der Ausnahmeregelung in Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der 6. EG-RL i.V.m. Nr. 2 des Anhangs E Gebrauch mache, die erlaubt, trotz Art. 13 bestimmte Umsätze weiterhin zu besteuern. Der EuGH betont, dass zwar wegen dieser Möglichkeit die beabsichtigte Harmonisierung nur teilweise erfolgt sei. Die dadurch bewirkte Wettbewerbsverzerrung sei eine zwangsläufige Folge dieser Entscheidung. Die letztlich systemwidrigen Ausnahmen seien aber eng auszulegen. Wenn der betreffende Staat, der von dieser Ausnahme Gebrauch gemacht habe, Wettbewerbsverzerrungen für Unternehmer im eigenen Besteuerungsgebiet feststelle, könne(!) er dies durch die Aufhebung der (zulässigen) Ausnahmeregelung beseitigen. Keinesfalls sei dieser Mitgliedstaat ermächtigt, seinerseits Wettbewerbsverzerrungen zum Nachteil der Staaten zu schaffen, die die Bestimmungen der 6. EG-RL umgesetzt haben.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil vom 7.12.2006, Rs. C-240/05 – Eurodental Sàrl –