Die Praxis zeigt, dass Warengroßhändler für Kioskbedarf über ein für Manipulationen wenig anfälliges Warenwirtschaftssystem verfügen. Dort wird jeder Kunde mit Namen und Anschrift und Kundennummer vor der ersten Bestellung erfasst.
Die Bestellannahme erfolgt edv-gestützt. Die Abwicklung des Verkaufs beginnt mit der Erstellung des Lieferscheins und der Kommissionierung der Ware für den Kunden. Gelangt die Ware mit der Kommissionierung (Bereitstellung) aus dem Lager auf eine Palette, wird zeitgleich die dazugehörige Rechnung erzeugt und liegt bei Auslieferung/Aushändigung der Ware bei. Ein Doppel der Ausgangsrechnung wird vom Lieferanten papierhaft oder digital archiviert.
Entscheidend kommt es darauf an, dass der einem registrierten Kunden zuzuordnende Auftrag im Warenwirtschaftssystem bei der Auftragserfassung fälschungssicher und damit unabänderbar im System dokumentiert ist. Jede Änderung oder jeder Abbruch der Auftragserfassung wird hierbei im Hintergrund dokumentiert und kann nicht ohne weiteres überschrieben werden. Gleiches gilt für GoBD-konforme Kassensysteme eines Warengroßhändlers.
Erfüllt ein Unternehmen diese Anforderungen nicht, kann auch die nachträgliche Rechnungslegung gegenüber dem Leistungsempfänger nicht zum Vorsteuerabzug führen, weil diese lediglich als Gefälligkeitsbescheinigung angesehen werden könnte.
Gelegentlich wird in der Vertriebs-Praxis von Warengroßhändlern neben dem reinen OR-Geschäft das sog. Rechnungssplitting als Geschäftsmodell genutzt. Beim sog. Rechnungssplitting wird ein Auftrag geteilt in ein Bargeschäft ohne Rechnung und in einen Kauf auf Rechnung. Die Zuordnung wird im Warenwirtschaftssystem dadurch verdeckt, dass der Auftrag vor der Speicherung im Warenwirtschaftssystem im Umfang des Bargeschäfts storniert wird. Im Ergebnis ist dieses Geschäftsmodell nicht zielführend. Das Entdeckungsrisiko ist erheblich. Im Rahmen einer Betriebsprüfung oder auch einer Nachschau (Kassen- bzw. Bankprüfung) führt ein Abgleich der Einnahmen des Leistenden mit den Ausgaben, dem Wareneinsatz und seinen Warenbeständen zur Entdeckung von Unregelmäßigkeiten.
Die Einvernahme der Mitarbeiter des Lieferanten nach vorheriger Belehrung über die bußgeldbewährten und steuerstrafrechtlichen Vorbehalte erhöht in den meisten Fällen die Bereitschaft der Firmenleitung des Leistenden zur Offenlegung der firmeninternen Abläufe und des verfolgten rechtswidrigen Geschäftsmodells. Aufzuklären gewesen wäre im Fall des FG Münster zunächst der mögliche Tatbeitrag einzelner Mitarbeiter oder auch des Geschäftsführers des Lieferanten, die OR-Geschäfte oder sog. Rechnungssplitting betreiben und damit eine Steuerhinterziehung des Lieferanten und des Warenempfängers ermöglichen.
Häufig ist als Entschuldigung auf Lieferantenebene zu hören: "das OR-Geschäft oder das sog. Rechnungssplitting bietet die Konkurrenz ebenfalls an; wenn wir da nicht mitmachen, entgeht uns das Geschäft". Das ist zu kurzsichtig gedacht. Die Verantwortung der Geschäftsleitung für gesetzesmäßige Geschäftsabwicklung und Rechnungslegung ist eindeutig und nicht verhandelbar. Die Geschäftsleitung ist stets dafür verantwortlich, die internen Abläufe rechtssicher zu strukturieren und regelmäßig zu kontrollieren. Es muss ein Warenwirtschaftssystem implementiert sein, welches Veränderungen nach Auftragserteilung, die nachträgliche Bestimmung der Abrechnungsform als Bargeschäft oder auf Ziel programmtechnisch ausschließt. Bei reinen Bargeschäften muss die fälschungssichere Erfassung der Empfängerdaten für den Leistenden verpflichtend sein. Damit könnte einem sog. Rechnungssplitting oder einem OR-Geschäft vorgebeugt werden.
Fehlt eine Rechnung für den Vorsteuerabzug und gibt es unmittelbar keine Nachweise im WWS, könnten die im Hintergrund des Systems fälschungssicher registrierten Änderungen hilfsweise dazu genutzt werden, die eventuell ohne ordnungsgemäße Rechnung erfolgte Warenlieferung nachzuvollziehen, zuzuordnen und anschließend eine ordnungsgemäße Rechnung zu legen. Das ist allerdings sehr zeitaufwendig und kostenintensiv und ein Ansatz für Whistleblower.