Das FG Münster v. 23.3.2022 – 5 K 2093/20 U, hat mit als Urteil wirkendem Gerichtsbescheid entschieden, dass ein Vorsteuerabzug aus von der Steuerfahndung festgestellten Schwarzeinkäufen nicht möglich ist, wenn keine entsprechenden Rechnungen vorliegen.
Die den Vorsteuerabzug beanspruchende Unternehmerin betrieb einen Kiosk. Eine bei einer Lieferantin durchgeführte Steuerfahndungsprüfung stellte fest, dass diese ihren Kunden – auch der Kioskbetreiberin – die Möglichkeit eingeräumt hatte, Waren gegen Barzahlung ohne ordnungsgemäße Rechnung zu beziehen. Auf Grundlage dieser Erkenntnisse führte eine bei der Kioskbetreiberin durchgeführte Betriebsprüfung zu dem Ergebnis, dass die Kioskbetreiberin Eingangsumsätze der Lieferantin und die entsprechenden Ausgangsumsätze nicht in ihrer Buchführung erfasst hatte. Das Finanzamt schätzte daraufhin Umsätze bei der Kioskbetreiberin hinzu, gewährte aber mangels Rechnung keinen Vorsteuerabzug auf die Schwarzeinkäufe.
Im finanzgerichtlichen Verfahren macht die Kioskbetreiberin geltend, dass ihr auch ohne Vorlage von Rechnungen ein Vorsteuerabzug zustehe, da der Kontrollfunktion der Rechnungen im Streitfall keine Bedeutung zukomme. Die Steuerfahndung habe das Konto der Kioskbetreiberin bei der Lieferantin ausgewertet, so dass das Finanzamt über sämtliche Angaben für eine Prüfung der materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs verfüge.
Das Gericht folgt dem nicht. Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setze voraus, dass der Unternehmer eine ordnungsgemäße Rechnung besitze. Zwar könne ausnahmsweise auf bestimmte formelle Voraussetzungen verzichtet werden, wenn die materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs erfüllt seien. Dies führe aber nicht dazu, dass vollständig auf Rechnungen verzichtet werden könne. Der Unternehmer müsse jedenfalls darlegen und nachweisen, dass er eine ordnungsgemäße Rechnung besessen hatte. Der fehlende Nachweis eines solchen Rechnungsbesitzes könne nicht durch eine Schätzung ersetzt werden.
Diese Entscheidung des FG Münster könnte die Pflicht zur Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) sowie den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 FGO) verletzen.
Es bestehen erhebliche Zweifel, ob der den Kiosk beliefernde Warengroßhändler mit weltweiten Aktivitäten, einer ständigen Bp im Haus und einem durch eine WP-Gesellschaft geprüften und testierten Jahresabschluss ein OR-Geschäftsmodell praktizieren konnte.
Bei einem Unternehmen dieser Größenordnung steht die Integrität des Unternehmens stets im Vordergrund, allein schon deshalb, um seine Finanzierung (Syndizierung) nicht zu gefährden.
Insofern ist ein OR-Geschäftsmodell bei zwangsläufig vorhandener Kontrollen zur Einhaltung von Recht und Gesetz sowie sonstiger Regeln, u.a. GoBD-konforme Verfahrensdokumentation, einem internen Kontrollsystem (IKS), einem Unternehmenscontrolling sowie einer internen Revision nicht denkbar. Eine fehlende oder nur schwach ausgeprägte Compliance-Organisation kann ein Indiz, jedoch nicht ursächlich für ein OR-Geschäft sein.
Die praktische Erfahrung lässt vermuten, dass ursprüngliche Rechnungen systembedingt in jedem Fall erzeugt werden, diese jedoch zur Zweckerreichung ohne oder unvollständige Bezeichnung der Leistungsempfängerin bleiben, weil der Name des Warenempfängers zwischen Anlage des Auftrags und Warenausgabe gelöscht wurde. Dass eine ursprüngliche Rechnung mit offenen Umsatzsteuerausweis vorgelegen haben muss, zeigt die Wiederherstellung des Debitorenkontos der Leistungsempfängerin beim Lieferanten. Nach prozessualem Sachverhalt war die Begebung der Rechnung an die Leistungsempfängerin Voraussetzung für die Bareinzahlung. Das Ergebnis der Übermittlung ist der Besitz nach Zugang der vom Leistenden ausgestellten Rechnung bei der Empfängerin. Die Übergabe eines Zettels mit Kundennummer und Gesamtbetrag an den Leistungsempfänger zum Zweck der Bareinzahlung ist nach dem prozessualen Sachverhalt denkgesetzlich ausgeschlossen.
Bei einem vorgeschobenen OR-Geschäft ist davon auszugehen, dass Ausgangsleistungen und die Bezahlung der Bruttorechnung auf dem mit Namen und Adressangabe mit einer Kundennummer angelegten Kundenkonto erfasst wurden.
Die Annahme eines vorgeschobenen OR-Geschäfts ist folgerichtig. Sonst wäre die tatsächliche Wiederherstellung des gelöschten auf den Namen des Kunden lautenden Debitorenkontos beim Lieferanten unmöglich.
Hieraus ist ebenfalls abzuleiten, dass im WWS noch nicht gelöschte oder überschriebene Hintergrundaufzeichnungen die Wiederherstellung des Debitorenkontos ermöglichten.
Eine GoBD-konforme Verfahrensdokumentation schließt aus, dass die Adressangaben in dem im Warenwirtschaftssystem angelegten Auftrag nachträglich gegen ein reines Bargeschäft ohne Hintergrundaufzeichnung verändert werden können.
Der Sachverhalt des FG Münster enthält keine Angaben dazu, ob im WWS des Warengroßhändlers kundenbezogene Hintergrunddokumentationen fälschungssicher vorhanden sind, mit deren Hilfe passend zu den Ausgangsleistungen die...