Die ursprüngliche Rechnung fehlt, wenn der leistende Unternehmer keine Rechnung erteilt. Die ursprüngliche Rechnung fehlt auch, wenn der leistende Unternehmer sein Warenwirtschaftssystem (WWS) und sein Kassensystem unter Missachtung aller gesetzlichen und betrieblichen Regeln umgeht, um im Einvernehmen mit dem anderen Unternehmer ein reines OR-Geschäft (Bargeschäft ohne Rechnung) zu tätigen. Dann ist dem Leistungsempfänger der Nachweis des Besitzes einer Originalrechnung und der Nachweis der Entrichtung der auf den Eingangs-Umsatz entfallenden Umsatzsteuer unmöglich. Ermittlungen gegen die Beteiligten wegen Steuerhinterziehung und Betrug sind zwangsläufig die Folge. Zudem droht dem Leistungsempfänger die Versagung des Vorsteuerabzugs. Ein Vorsteuerabzug im Billigkeitsverfahren scheidet ebenfalls aus.
Die später fehlende Rechnung beschreibt den Fall, bei dem der Leistungsempfänger die Original-Eingangsrechnung nach Verlust bzw. Totalverlust (z.B. durch Unwetter, Feuer, Vandalismus oder Datenverlust nach Cyberangriff) nicht vorlegen kann.
Rechnung nicht existent: Bei einem reinen OR-Geschäft gibt es überhaupt keine Rechnung und auch keine Aufzeichnungen zu z.B. der Bestellannahme, der Warenausgabe und der Ausgangsrechnung. Die Abwicklung des Verkaufs erfolgt ohne Bezug zum WWS des Lieferanten. Die Einnahmen daraus werden in der Folge vom Lieferanten nicht in der Buchhaltung erfasst.
Davon zu unterscheiden ist ein vorgeschobenes, vermeintliches OR-Geschäft eines Lieferanten. Bei diesem Geschäftsmodell wird in das System des Lieferanten in der Form eingegriffen, dass Lieferschein und Rechnung keine Empfängerangaben aufweisen. Die Bareinzahlung erfolgt anhand der ursprünglichen Rechnung ohne Empfängerangaben. Bei Verlust oder Beseitigung der ursprünglichen Rechnung durch den Warenempfänger stellt sich die Frage nach der Schätzung der Vorsteuer.
Der fehlende Nachweis des Rechnungsbesitzes kann nicht durch eine Schätzung ersetzt werden.
Bei einem Buchführungskonto des leistenden Unternehmers – z.B. ein Debitorenkonto – handelt es sich nach Auffassung des FG Münster v. 23.3.2022 nicht um ein Dokument, mit dem gegenüber einem Leistungsempfänger über eine erbrachte Leistung abgerechnet wird. Es diene der eigenbetrieblichen Dokumentation des leistenden Unternehmers. Es fehlt die Begebung, d.h. der Zugang beim Leistungsempfänger.
Das FG Münster v. 23.3.2022 führt weiter aus, soweit der EuGH v. 21.11.2018 – C-664/16, Lucreţiu Hadrian Vădan, anmerkte, dass "ein Steuerpflichtiger, der nicht in der Lage ist, durch Vorlage von Rechnungen oder anderen Unterlagen den Betrag der von ihm gezahlten Vorsteuer nachzuweisen, nicht allein auf der Grundlage einer Schätzung in einem vom nationalen Gericht angeordneten Sachverständigengutachten ein Recht auf Vorsteuerabzug geltend machen" kann, sagt dies nichts zur Entbehrlichkeit einer Rechnung oder bestimmter Rechnungsinhalte aus. Vielmehr bestätige der EuGH mit dieser Entscheidung die Bedeutung einer Rechnung oder anderer Abrechnungsunterlagen für das Recht auf Vorsteuerabzug.
Unter Fortsetzung seiner bisherigen Rechtsprechung habe der EuGH v. 21.10.2021 – C-80/20, Wilo Salmson France SAS, tenoriert, dass "ein Steuerpflichtiger, der nicht im Mitgliedstaat der Erstattung, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist, den Anspruch auf Erstattung der Mehrwertsteuer, mit der eine Lieferung von Gegenständen belastet wurde, nicht geltend machen kann, wenn er keine Rechnung (...) über den Erwerb der betreffenden Gegenstände besitzt". Zwar betreffe diese Entscheidung nicht unmittelbar den Vorsteuerabzug, sondern die Erstattung von Vorsteuerbeträgen im Vorsteuervergütungsverfahren (vgl. Art. 170 MwStSystRL), für das aber identische Grundsätze gelten. Der EuGH habe selbst darauf hingewiesen, dass der Erstattungsanspruch ebenso wie das Recht auf Vorsteuerabzug ein Grundprinzip des durch das Unionsrecht geschaffenen gemeinsamen Mehrwertsteuersystems darstelle und als integraler Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer grundsätzlich nicht eingeschränkt werden könne.
Unter Bezugnahme und in Übereinstimmung mit der EuGH-Rechtsprechung sehe der BFH ebenfalls in seiner ständigen Rechtsprechung den Besitz einer Rechnung als Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs an. Danach sei in Übereinstimmung mit der EuGH-Rechtsprechung der Vorsteuerabzug zu versagen, wenn der Unternehmer lediglich über ein Dokument verfügt, das die Anforderungen an eine berichtigungsfähige Rechnung nicht erfüllt.
Geht die Originalrechnung verloren, kann der Unternehmer den Nachweis darüber, dass ihm ein anderer Unternehmer Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen gesondert in Rechnung gestellt hat, nicht allein durch Vorlage der Originalrechnung, sondern mit allen verfahrensrechtlich zulässigen Mitteln führen.
In Einzelfällen ist auch die Zweitschrift einer Rechnung oder eines Einfuhrbelegs ausreichend.
Der BMF v. 18.9.2020 nimmt zum objektiven Nachweis e...