Dipl.-Finw. (FH) Helmut Lehr
Leitsatz
Wer als Durchschnittssatzversteuerer Eingangsleistungen bezieht, um diese wegen Überschreitens der Umsatzgrenze für regelversteuerte Umsätze zu verwenden, ist daraus zum Vorsteuerabzug berechtigt.
Sachverhalt
Die Klägerin betreibt als GbR einen landwirtschaftlichen Betrieb. Als solche unterlag sie bis einschließlich 2021 mit ihren Umsätzen der Besteuerung nach Durchschnittssätzen gemäß § 24 UStG. Da ihre Umsätze des Jahres 2021 die neu in das Gesetz eingefügte Umsatzgrenze von 600.000 EUR (vgl. § 24 Abs. 1 Satz 1 UStG) überstiegen, musste sie für das Jahr 2022 zur Regelversteuerung übergehen. Sie machte daher im Jahr 2021 Vorsteuerbeträge in voller Höhe geltend, soweit sie nachweislich mit Ausgangsumsätzen in Verbindung standen, die erst ab 2022 erzielt wurden. Konkret ging es um Vorsteuern aus Kosten für die Aufzucht der weiblichen Nachzucht von Milchkühen, die erst 2022 abkalben würden und deshalb auch erst ab diesem Zeitpunkt zur Milcherzeugung verwendet werden könnten. Das Finanzamt berücksichtigte diese Vorsteuern jedoch nur in Höhe der Umsatzsteuer aus der Durchschnittssatzbesteuerung (10,7 %) und verwies auf § 24 Abs. 1 Satz 4 UStG, wonach ein weitergehender Vorsteuerabzug nicht möglich sei.
Entscheidung
Die Klage hatte Erfolg. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist § 24 UStG richtlinienkonform auszulegen. Er gilt zwar nach seinem Wortlaut für die "im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs ausgeführten Umsätze". Dies ist aber dahin zu verstehen, dass damit nur die Lieferungen landwirtschaftlicher Erzeugnisse gemeint sind, die der Durchschnittsatzbesteuerung unterliegen. In diesem Zusammenhang ist auch § 24 Abs. 1 Satz 4 UStG richtlinienkonform auszulegen, sodass der diesbezügliche weitergehende Vorsteuerausschluss nicht etwa betriebsbezogen, sondern tätigkeits- bzw. umsatzbezogen ist. Auch nach der Rechtsprechung des BFH ist einem Unternehmer, der im Zusammenhang mit dem Erwerb eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs umsatzsteuerpflichtige Leistungen bezieht, ein Vorsteuerabzug zu gewähren, wenn er im Moment des Leistungsbezugs die durch objektive Anhaltspunkte belegte Absicht hat, die im Rahmen des land- und forstwirtschaftlichen Betriebs beabsichtigten Verwendungsumsätze gemäß § 24 Abs. 4 UStG der Regelbesteuerung zu unterwerfen (vgl. BFH, Urteil v. 22.3.2001, V R 39/00). Der vorliegende Sachverhalt ist vergleichbar, zumal feststand, dass die den Eingangsleistungen zuzuordnenden Ausgangsleistungen wegen Überschreitens der Umsatzgrenze von 600.000 EUR der Regelbesteuerung unterliegen werden.
Hinweis
Die Neuregelung des § 24 Abs. 1 UStG mit der Umsatzgrenze von 600.000 EUR (bezogen auf den Vorjahresumsatz) greift für alle Umsätze, die nach dem 31.12.2021 bewirkt werden. Damit stand im Streitfall fest, dass die Ausgangsumsätze, auf die sich die streitgegenständlichen Vorsteuerbeträge beziehen, in diesem Fall der Regelbesteuerung unterliegen würden. Da es für den Vorsteuerabzug letztlich auf die Absicht ankommt, der Regelbesteuerung unterliegende Ausgangsumsätze zu erzielen, wurde die Vorsteuer meines Erachtens zutreffend gewährt. Das FG hat allerdings die Revision zugelassen, Az beim BFH XI R 14/22, da die Finanzverwaltung in Abschn. 15.1 Abs. 5 UStAE zur Optionsregelung des § 24 Abs. 4 UStG (Übergang zur Regelbesteuerung) eine abweichende Auffassung vertritt.
In der Praxis wird sich zumindest im Voranmeldungsverfahren die Frage stellen, welche Anforderungen an einen Nachweis für das Überschreiten der 600.000 EUR-Grenze "im Vorjahr" (hier: Streitjahr) zu stellen sind, weil das "Vorjahr" faktisch das laufende Jahr ist, in dem über den Vorsteuerabzug entschieden werden muss. Vorliegend brauchte das FG darüber gerade nicht zu entscheiden, weil aufgrund der Umsatzzahlen der Jahre 2019 und 2020 und den gleich gebliebenen wirtschaftlichen Verhältnissen zwischen den Beteiligten unstreitig war, dass diese Grenze auch im Jahr 2021 sicher überschritten werden würde.
Link zur Entscheidung
Niedersächsisches FG, Urteil v. 05.05.2022, 11 K 196/21