Leitsatz
1. Der Vorsteuerabzug ist nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 2 UStG zu berichtigen, wenn der Leistende ein (bereits vereinnahmtes) Entgelt zurückzahlt, da ein Dritter das Entgelt entrichtet und dessen Insolvenzverwalter die Zahlung erfolgreich angefochten hat, sowie im Zeitpunkt der Rückzahlung über das Vermögen des Leistungsempfängers das Insolvenzverfahren eröffnet ist.
2. Dieser Vorsteuerberichtigungsanspruch ist keine Masseverbindlichkeit im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO im Insolvenzverfahren des Leistungsempfängers und darf daher nicht durch Steuerbescheid gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend gemacht werden. Im Hinblick auf die insolvenzrechtliche Trennung der Verfahren über die personenverschiedenen Insolvenzschuldner ist hierbei unerheblich, wenn in beiden Verfahren dieselbe Person als Insolvenzverwalter eingesetzt wurde.
Normenkette
§ 17 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG, § 35 Abs. 1, § 38, § 55 Abs. 1 Nr. 1, § 134 Abs. 1, § 144 Abs. 1 InsO
Sachverhalt
Eine GmbH bezog steuerpflichtige Leistungen, die von ihrer Schwestergesellschaft bezahlt wurden und aus denen die GmbH den Vorsteuerabzug in Anspruch nahm. Über das Vermögen der Klägerin und ihrer Schwestergesellschaft wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kläger wurde zum Insolvenzverwalter bei beiden Gesellschaften bestellt. Er erklärte in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter der Schwestergesellschaft erfolgreich die Insolvenzanfechtung, die zu einer Rückzahlung durch den Leistenden an die Schwestergesellschaft führte. Den sich hieraus zulasten der Klägerin ergebenden Vorsteuerberichtigungsanspruch sah das FA als Masseverbindlichkeit im Verfahren der GmbH an. Die hiergegen gerichtete Klage blieb ohne Erfolg (Niedersächsisches FG, Urteil vom 19.8.2021, 11 K 133/20, Haufe-Index 15203553).
Entscheidung
Der BFH hob die Entscheidung der Vorinstanz auf und gab der Klage statt, da der Vorsteuerberichtigungsanspruch nicht zu einer Masseverbindlichkeit im Insolvenzverfahren der GmbH geführt habe.
Hinweis
1. Hat der Empfänger einer Leistung diese auch bezahlt und kommt es später zu einer Rückzahlung, sind Steueranspruch und Vorsteuerabzug trotz vorheriger Entgeltentrichtung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG zu berichtigen, wenn, was dann der Regelfall sein dürfte, der Leistende nicht mit einer alsbaldigen erneuten Entgeltvereinnahmung rechnen kann. So ist es z.B. dann, wenn der Insolvenzverwalter des Leistungsempfängers erfolgreich die Insolvenzanfechtung erklärt.
2. Der gegen den Leistungsempfänger gerichtete Vorsteuerberichtigungsanspruch aufgrund einer derartigen Insolvenzanfechtung ist, da diese im Rahmen der Masseverwaltung erklärt wird, eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO.
3. Fraglich war bislang, welche Rechtsfolgen eintreten, wenn
- die Leistung nicht vom Empfänger, sondern von einem Dritten, wie etwa seiner Schwestergesellschaft, bezahlt wird,
- über das Vermögen des Leistungsempfängers und des Dritten das Insolvenzverfahren eröffnet wird und
- der Insolvenzverwalter des Dritten die Insolvenzanfechtung erklärt.
Während das Entstehen der Berichtigungspflicht beim Leistungsempfänger (s. oben 1.) auch hier eindeutig zu bejahen ist, könnte es als fraglich angesehen werden, ob dieser Berichtigungsanspruch zu einer Masseverbindlichkeit (s. oben 2.) beim Leistungsempfänger führt.
Eine derartige Masseverbindlichkeit beim Leistungsempfänger verneint der BFH nunmehr. Maßgeblich ist hierfür, dass die Insolvenzanfechtung im Rahmen der Masseverwaltung des Dritten, nicht aber im Rahmen der Masseverwaltung des Leistungsempfängers erklärt wird.
4. Ohne dass der BFH hierüber zu entscheiden hatte, ist zudem davon auszugehen, dass es auch nicht zu einer Masseverbindlichkeit beim Dritten kommt, da es hier bereits an einem gegen diesen gerichteten Steueranspruch fehlt. Das Gesamtergebnis erweist sich damit für die Finanzverwaltung als bedauerlich, ist aber letztlich Konsequenz der an Masseverbindlichkeiten nach § 55 InsO zu stellenden Voraussetzungen. Ob sich hieraus ein Gestaltungsmodell für insolvenzbedrohte Gesellschaften ergeben kann, bleibt abzuwarten.
Nicht zu entscheiden hatte der BFH zudem, ob der Vorsteuerberichtigungsanspruch als (Teil einer) Insolvenzforderung gegen Leistungsempfänger anzusehen ist. Bei pragmatischer Betrachtung dürfte dies zu bejahen sein. Allerdings kann aus dem Fehlen einer Masseverbindlichkeit nicht auf das Vorliegen einer Insolvenzforderung geschlossen werden.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 24.8.2023 – V R 29/21