Leitsatz
Der BFH legt dem EuGH folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:
1. Ist Art. 2 der Entscheidung des Rates vom 28.2.2000 (2000/186/EG) zur Ermächtigung der Bundesrepublik Deutschland, von den Art. 6 und 17 der Richtlinie 77/388/EWG abweichende Regelungen einzuführen, ungültig, weil das der Entscheidung vorangegangene Verfahren nicht den Vorgaben des Art. 27 der Richtlinie 77/388/EWG entspricht?
2. Ist Art. 3 Abs. 1 der Entscheidung 2000/186/EG, wonach die Entscheidung auf den 1.4.1999 zurückwirkt, gültig?
3. Entspricht Art. 2 der Entscheidung 2000/186/EG den inhaltlichen Anforderungen, die an eine derartige Ermächtigung zu stellen sind, und ergeben sich hieraus Bedenken gegen die Gültigkeit dieser Vorschrift?
Normenkette
§ 15 Abs. 1b UStG , Art. 17 Abs. 2, Art. 27 6. EG-RL
Sachverhalt
Der Kläger betreibt ein Malerunternehmen. Im April 1999 erwarb er einen Pkw mit gesondertem Umsatzsteuerausweis. Er ordnete diesen Pkw seinem Unternehmen zu und nutzte ihn – unstreitig – zu 70 % für unternehmerische und zu 30 % für unternehmensfremde Zwecke.
In seiner Umsatzsteuer-Voranmeldung für April 1999 machte der Kläger die gesamte Umsatzsteuer aus dem Kauf des Pkws als Vorsteuer geltend, während das beklagte Finanzamt im Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid für April 1999 unter Hinweis auf § 15 Abs. 1b UStG nur 50 % der Vorsteuerbeträge als abziehbar berücksichtigte.
Der Kläger ist der Auffassung, die ab 1.4.1999 geltende Neuregelung des § 15 Abs. 1b UStG 1999 verstoße gegen Gemeinschaftsrecht.
Das FG gab der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage statt. Seiner Auffassung nach widersprächen die Beschränkungen des Vorsteuerabzugs dem Gemeinschaftsrecht. Weder seien solche Beschränkungen vor In-Kraft-Treten der 6. EG-RL vorgesehen gewesen noch habe – im Zeitpunkt der Entscheidung des FG am 10.2.2000 – gemäß Art. 27 Abs. 1 der 6. EG-RL eine entsprechende Ermächtigung zu deren Erlass vorgelegen.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung von § 15 Abs. 1b UStG, indem es auf die am 28.2.2000 erteilte Ermächtigung des Rates (2000/186/EG ABlEG 2000 Nr. L 59, 12) gemäß Art. 27 der 6. EG-RL mit Wirkung ab 1.4.1999 hinwies. Der Rat hat danach die Bundesrepublik ermächtigt, den Abzug der Mehrwertsteuer auf die Gesamtausgaben für Fahrzeuge, die nicht ausschließlich für betriebliche Zwecke genutzt werden, auf 50 % zu beschränken, soweit die Fahrzeuge – wie im Streitfall der vom Kläger angeschaffte Pkw – weder Umlaufvermögen des Steuerpflichtigen darstellen noch höchstens bis zu 5 % für private Zwecke genutzt werden.
Entscheidung
Der BFH legt dem EuGH die im Tenor bezeichneten Rechtsfragen zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts vor und setzt das Verfahren gemäß § 74 FGO bis zur Entscheidung des EuGH aus.
1. Nach deutschem Recht musste der Abzug der auf die Anschaffung entfallenden Vorsteuer auf 50 % beschränkt werden, weil der Kläger das Fahrzeug nach dem 31.3.1999 angeschafft hat, er im Streitfall das Fahrzeug zu 70 % für unternehmerische Zwecke genutzt hat und damit die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1b i.V.m. § 27 Abs. 3 UStG vorlagen. Der BFH hat aber Zweifel, ob § 15 Abs. 1b UStG anzuwenden ist oder ob sich der Kläger für den Anspruch auf vollen Vorsteuerabzug auf Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG berufen kann, weil er das Fahrzeug insgesamt seinem Unternehmen zugeordnet hat.
2. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH kann das Recht auf Vorsteuerabzug wegen seiner Bedeutung für das System der Mehrwertsteuer grundsätzlich nicht eingeschränkt werden. Ausnahmen sind nur zugelassen, wenn sie in der Richtlinie 77/388/EWG selbst vorgesehen sind.
Eine solche zulässige Einschränkung hätte sich nur über eine wirksame Ermächtigung nach Art. 27 der 6. EG-RL ergeben können. Zwar hat der Rat am 28.2.2000 (2000/186/EG, ABlEG 2000, Nr. L 59, 12) die Bundesrepublik nach Art. 27 der Richtlinie 77/388/EWG zum Erlass der in § 15 Abs. 1b in der von der Verwaltung praktizierten Weise (vgl. BMF, Schreiben vom. 29.5.2000, IV D 1 – S 7303b – 4/00, DStR 2000, 1009) ermächtigt. Der BFH äußert jedoch Zweifel an der Vereinbarkeit dieser erteilten Ermächtigung sowohl aus formellen als auch aus materiellen Gründen.
a) Zum einen verlange Art. 27 der 6. EG-RL eine "Ermächtigung", d.h. eine Entscheidung, die vor Erlass einer nationalen Regelung über die Beschränkung des Vorsteuerabzugs einzuholen ist. Die Ermächtigung vom 28.2.2000 ist jedoch erst nach In-Kraft-Treten des StEntlG 1999/2000/2002 vom 24.3.1999.
Auch sei gegen die Verpflichtung aus Art. 27 der 6. EG-RL verstoßen worden, wonach die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, Inhalt und Art der geplanten Sondermaßnahme genau anzugeben und der Kommission alle für deren Beurteilung zweckdienlichen Angaben zu übermitteln. Dies sei angesichts des Verfahrens nach Art. 27 mit den sehr kurzen Fristen sowohl für die Kommission als auch für die Mitgliedstaaten von grundlegender Bedeutung, vor allem deshalb, weil Sondermaßnahmen das Ziel der Harmonisierung der Mehrwertsteuer im Gemeinsamen Markt beeinträchtigen und Art. 17 A...