Christof K. Letzgus, Robert Prätzler
Seit dem Erscheinen der ersten Auflage unseres Brexit-Kompendiums vor einem Jahr ist viel passiert: Die Pandemie verdrängte phasenweise alle anderen Themen in den Hintergrund. Immerhin ist es – wiederum in der letzten Minute – gelungen, einen harten Brexit ohne eine über Standards der Welthandelsorganisation WTO hinausgehende Regelung zu vermeiden. Allerdings regelt das Handels- und Kooperationsabkommen trotz seines beachtlichen Umfangs von fast 1.500 Seiten längst nicht alles. Seine Praxistauglichkeit, insbesondere in Bezug auf das Verhältnis zwischen Nordirland zur EU einerseits und zu Großbritannien andererseits, aber beispielsweise auch im Bereich der Wettbewerbsregeln und ihrer Durchsetzbarkeit, muss sich erst erweisen. Dass Großbritannien sich zumindest in wirtschaftlichen Fragen nicht mehr nur oder primär als europäischer Spieler sieht, lässt sich auch daran ablesen, dass man sich nunmehr stärker auf OECD-Regeln bezieht, auch wenn diese hinter den Vorgaben des EU-Rechts zurückbleiben, und sich gleichzeitig verstärkt um den Abschluss von Handelsabkommen mit anderen wichtigen Volkswirtschaften (wie den USA) bzw. um die Einbeziehung in andere bestehende Freihandelsabkommen (wie das sog. Transpazifische Abkommen) bemüht. Die Welt hat sich aber auch sonst stark verändert: In den USA gibt es eine neue Bundesregierung und geänderte Mehrheitsverhältnisse im Kongress. Dies gibt auch den in den letzten Monaten intensivierten Bemühungen zur Schaffung einer neuen internationalen Steuerordnung wieder neue Perspektiven.
Nachdem der im Anschluss an den formalen Austritt des Vereinigen Königreichs (VK) aus der EU am 31.01.2020 in Gang gesetzte elfmonatige Übergangszeitraum Ende des Jahres 2020 abgelaufen ist, gelten im Verhältnis zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU neue Regeln. Dies sind zunächst diejenigen des Handels- und Kooperationsabkommens. Soweit dieses keine Regelungen trifft, leben entweder bilaterale Abkommen der einzelnen EU-Staaten mit dem VK wieder auf oder es gelten "lediglich" noch globale Standards wie etwa die WTO-Regeln.
In der zweiten Auflage waren zunächst die Erläuterungen zur Koordinierung der sozialen Sicherheitssysteme (Kapitel F) völlig neu zu schreiben. Auch das Kapitel zu Mitarbeiterentsendungen wurde grundlegend überarbeitet. Schließlich haben wir erstmals auch ein Kapitel zu Änderungen im Bereich des Aufenthalts- und Arbeitsrechts (Kapitel G) aufgenommen. Im Bereich Zölle (Kapitel I) und vor allem Nordirland (Kapitel J) waren auch größere Anpassungen aufgrund des Handels- und Kooperationsabkommens und der Sonderregelungen für Nordirland erforderlich. In den übrigen Kapiteln gab es nur wenige Brexit-spezifische Neuregelungen seit der ersten Auflage. Allerdings sorgte der deutsche Gesetzgeber dafür, dass einige der in den letzten Jahren neu eingeführten Brexit-bezogenen Regelungen durch Neuregelungen überlagert, wenn nicht gar bereits wieder abgeschafft wurden. Die zugrunde liegenden Gesetzgebungsverfahren wurden erst kurz vor Drucklegung abgeschlossen und werden an den entsprechenden Stellen im Kapitel C (direkte Steuern) jeweils angesprochen.
Ist damit nun alles klar? Nein, aber einige Weichen sind nun gestellt. Vor allem aber sind die "Post-Brexit"-Regeln seit Beginn des Jahres bereits anwendbar. Wer sie nicht berücksichtigt, den kann – in Abwandlung einer berühmten anderen Äußerung – "das Leben" bzw. der Wettbewerb "bestrafen". Den Praxistest muss das neue Verhältnis zwischen dem VK und der EU erst noch bestehen, und zwar nicht nur, aber auch, was den besonderen Status von Nordirland anbetrifft. Man könnte die vorliegende zweite Auflage daher auch mit dem Untertitel "Brexit is done – is Brexit done?" versehen.
In diesem Sinne wünschen wir dem geneigten Leser eine anregende Lektüre, viele neue Erkenntnisse und eine erste praktische Hilfe bei den hier erläuterten rechtlichen und steuerlichen Herausforderungen, denen sich derzeit viele Unternehmen und deren Berater stellen müssen.
Frankfurt, im Juni 2021
Christof Letzgus und Robert Prätzler