Leitsatz
Werden bei einer steuerbegünstigten Lebensversicherung Überschussanteile nach Ablauf von 12 Jahren aber vor Ablauf der Versicherung vorzeitig ausgezahlt, so bleibt die Steuerfreiheit der Zinseinkünfte erhalten. Dieser gesetzlich nicht geregelte Fall ist im Wege der Gesetzesanalogie nach Sinn und Zweck der Steuerbefreiung für Zinseinkünfte aus Lebenseinkünften in diesem Sinne zu schließen.
Sachverhalt
Der Kläger schloss eine Lebensversicherung mit einer Laufzeit von 20 Jahren ab. Nach Ablauf von 16 Jahren zahlte die Versicherung vorzeitig Zinserträge aus. Das Finanzamt behandelte den Zufluss als steuerpflichtig. Die gesetzlichen Ausnahmefälle in § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG lägen nicht vor, weil einerseits die Zinseinkünfte nicht mit Beendigung der Lebensversicherung ausgezahlt wurden und andererseits zwar die zwölfjährige Behaltensfrist eingehalten wurde, die Lebensversicherung aber trotz vorzeitiger Zinsauszahlung weiter bestand.
Entscheidung
Das Gericht gab dem Kläger Recht und behandelte die vorzeitig ausgezahlten Zinsen aus der Lebensversicherung als steuerfreie Zinseinnahmen (§ 10 Abs. 1 Nr. 2b EStG i.V.m. § 20 Abs.1 Nr. 6 Satz 1 und 2 EStG). Das Gericht hat zunächst eine planwidrige Gesetzeslücke angenommen. Sinn und Zweck der Steuerbefreiung der Erträge aus bestimmten Lebensversicherung sei die Förderung einer langfristigen Vorsorge. Dieser Aspekt sei stets gegeben, wenn eine Lebensversicherung mindestens 12 Jahre Bestand hat. Werden die Zinsen vorzeitig aber nach Ablauf der 12-jährigen Behaltensfrist ausbezahlt, so sei dem Gesetzeszweck Genüge getan. Dass in diesem Fall die Lebensversicherung aber noch weiter bestehen kann, sei vom Gesetzgeber nicht berücksichtigt worden. Da Sinn und Zweck des Gesetzes auch in diesem Ausnahmefall erfüllt sind, hat das Gericht die Steuerbefreiung des Versicherungsnehmers im Wege der analogen Anwendung des Befreiungstatbestandes anerkannt.
Hinweis
Das Gericht nimmt eine planwidrige Gesetzeslücke an, um so mit einer analogen Anwendung des Gesetzestextes den Steuerpflichtigen zu seinem Recht zu verhelfen. Das Gericht hat die Gesetzesmaterialien dahin gehend ausgewertet, dass ein langfristiger Versorgungszweck erfüllt werden sollte, der auch bei der streitbefangenen Konstellation hinreichend berücksichtigt ist. Der Gesetzgeber habe lediglich den entschiedenen Sachverhalt nicht im Blick gehabt. Die Revision gegen das Urteil wurde zugelassen, da die Rechtsfrage mit den Mitteln der Gesetzesauslegung durchaus anders entschieden hätte werden können.
In der Beratungspraxis ist zunächst vor Verträgen abzuraten, in denen die Zinsen nach Ablauf von 12 Jahren aber noch vor Ende der Vertragszeit ausgezahlt werden können. Man könnte sich durchaus auch auf den Standpunkt stellen, dass der Gesetzgeber die Ausnahmen vom Grundsatz, dass die Zinsen erst mit Ablauf der Vertragszeit ausgezahlt werden dürfen, abschließend festgelegt hat. Ausnahmeregelungen sind nämlich stets eng auszulegen und einer Analogie im Regelfall nicht zugänglich, da sonst der Ausnahmecharakter der betroffenen Regelung ausgehebelt würde.
Link zur Entscheidung
FG Düsseldorf, Urteil vom 18.09.2003, 10 K 4981/00 E