Anmerkungen zu BFH v. 8.9.2022 – V R 26/21 und BFH v. 8.9.2022 – V R 27/21
[Ohne Titel]
RA StB Georg von Streit
Diverse gesetzgeberische Maßnahmen der letzten Zeit (Implementierung von Meldepflichten etc.) dienen dem Ziel, kommerziell relevantes Handeln (vornehmlich im Onlinebereich) ausfindig zu machen und ggf. zu besteuern, so dass sich vermutlich – insbesondere bei Erwerbstätigkeit mit niedriger Intensität – zukünftig vermehrt die Frage stellen wird, ob eine unternehmerische Tätigkeit i.S.d. Mehrwertsteuerrechts gegeben ist. Deren Voraussetzungen werden in diesem Beitrag anhand der BFH-Urteile vom 8.9.2022 betrachtet. Es schließen sich Überlegungen zu den Möglichkeiten einer typisierenden Klassifizierung zumindest für Teilbereiche unternehmerischer Tätigkeit an.
I. Sind die Voraussetzungen der Unternehmereigenschaft noch "zeitgemäß"?
Die Beurteilung, ob eine Person, die nur gelegentlich oder geringfügig Umsätze gegen Entgelt ausführt, Unternehmer i.S.d. Mehrwertsteuerrechts ist, ist schon immer schwierig gewesen. Die vorliegenden Entscheidungen des FG von 2021 und des BFH von 2022 zeigen dies m.E. noch einmal in aller Deutlichkeit auf. Insbesondere im Onlinehandel stellt sich die Frage, ob die "klassischen" Kriterien für diese Feststellung überhaupt noch relevant sind. Im Folgenden soll versucht werden, einen Beitrag dazu zu leisten, besser greifbare Kriterien für die Feststellung herauszuarbeiten.
II. Sachverhalt FG Baden-Württemberg und BFH
2015: In dem Fall, über den das FG Baden-Württemberg und nun der BFH zu entscheiden hatten, betrieb B ursprünglich im Jahr 2015 als Einzelkaufmann einen Handel mit Waren (offenbar nicht Autos). Als Einzelkaufmann erwarb er in diesem Jahr ein Auto (Kfz 1), dessen Anschaffungspreis den durchschnittlichen Anschaffungspreis, der für Neuwagen im Jahr 2015 gezahlt wurde, erheblich überstieg (EUR 465.000 brutto). Die bei der Anschaffung gezahlte MwSt i.H.v. EUR 74.243,70 machte er in der Umsatzsteuer-Voranmeldung für das 2. Quartal 2015 als Vorsteuer geltend.
Später im Jahr brachte B das einzelkaufmännische Unternehmen in die A GmbH & Co. KG (A-KG) ein. Geschäftsführende Komplementärin der A-KG ist die A-GmbH. B ist einziger Kommanditist der A-KG und einziger Gesellschafter sowie Geschäftsführer der A-GmbH. Die A-GmbH erhält für ihre Tätigkeit als Komplementärin eine Haftungsvergütung i.H.v. EUR 2.500 p.a. Sie hat auf die Anwendung der Kleinunternehmerregelung verzichtet.
Die A-GmbH erwarb im Jahr 2015 zwei weitere Autos – eines für EUR 380.000 brutto (EUR 319.327,73 zzgl. MwSt i.H.v. EUR 60.672,27 = Kfz 2) und eines für EUR 149.900 brutto (EUR 125.966,39 zzgl. MwSt i.H.v. EUR 23.933,62 = Kfz 3) – und machte die bei der Anschaffung gezahlte MwSt i.H.v. EUR 60.672,27 und EUR 23.933,62 in den Umsatzsteuer-Voranmeldungen geltend.
Die Kaufpreise wurden von B bezahlt. Dafür passivierte die A-GmbH eine Verbindlichkeit in entsprechender Höhe gegenüber B.
2016: Im Jahr 2016 veräußerte die A-GmbH das Kfz 3 für EUR 147.098 (netto). Außerdem veräußerte B im Jahr 2016 ein im Jahr 2012 für 145.068,51 EUR netto erworbenes Auto (Kfz 4) für 295.000 EUR (netto).
2020: Im Jahr 2018 bestellte die A-KG ein weiteres Auto (Kfz 5) für EUR 281.861,93 EUR (netto), das im Jahr 2020 geliefert wurde. Die A-KG verkaufte diesen Wagen direkt im Jahr 2020 für 280.000 EUR (netto) weiter, weil die unerwartet hohen Produktionszahlen dieses Fahrzeugmodells keine Wertsteigerung erwarten ließen.
2021: Im Jahr 2021 stand die A-GmbH in Verhandlungen mit einem Interessenten über Kfz 2. Diese zerschlugen sich aber wegen der ungeklärten mehrwertsteuerlichen Fragen, um die es in den hier behandelten, noch laufenden Verfahren ging.
Sämtliche Fahrzeuge waren (so wie üblicherweise mit Fahrzeugen verfahren wird, die zum Zweck des möglichst teuren Weiterverkaufs erworben werden) nach dem Erwerb nicht zugelassen sowie verschlossen und mit einer Schutzhülle abgedeckt in einer Halle abgestellt worden.
B und die A-GmbH haben, wie das FG feststellte, glaubhaft geschildert und durch objektive Tatsachen schlüssig dargelegt, dass sie die Fahrzeuge später zu höheren Preisen wieder verkaufen wollten.
III. Finanzamt
Das Finanzamt erkannte den vorgenannten Vorsteuerabzug des B und der A-GmbH nicht an. Es führte in den Einspruchsentscheidungen im Jahr 2018 an, der Erwerb der Fahrzeuge habe nicht im Rahmen einer nachhaltigen unternehmerischen Tätigkeit stattgefunden.