An den bisherigen Text von Nr. 56 Abs. 1 Nr. 2 AStBV (St) 2023/2024 ist nun folgendes angefügt worden: "Zu Ermittlungsmaßnahmen bei zeugnisverweigerungsberechtigten Berufsgeheimnisträgern vgl. § 160a StPO sowie LG Köln, Beschluss vom 13. Mai 2020 – 112 Qs 4/20." Hinweise in den AStBV (St) 2023/2024 auf Vorschriften der StPO sind natürlich immer als neutral zu bewerten. Sie dienen regelmäßig wohl eher dem Hinweis der Finanzbeamten auf geltendes Recht, das möglicherweise nicht immer parat ist. Der – so muss man es wohl verstehen – anscheinend als gleichwertig zu betrachtende Hinweis auf eine landgerichtliche Entscheidung dürfte allerdings mehr Probleme verursachen, als klarstellend wirken.
Das LG Köln hat in der Entscheidung vom 13.5.2020 befunden: "Die Strafermittlungsbehörden müssen sich grundsätzlich nicht unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit darauf verweisen lassen, bei Dritten um die Herausgabe von Gegenständen zu bitten, ohne eine (unangekündigte) Durchsuchung vornehmen zu können zum Zwecke der Beschlagnahme bestimmter Gegenstände, die als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können. Eine aus Verhältnismäßigkeitsgründen ableitbare Vorgabe gegenüber den Ermittlungsbehörden, der zufolge sie bei der Beweisunterdrückung nicht konkret verdächtigen Durchsuchungsadressaten zunächst eine Erforderung um Vorlegung und Auslieferung vorzunehmen hätten, existiert nicht und ist auch im Falle der Durchsuchung bei Berufsgeheimnisträgern auf Gegenstände eines deren Dienste in Anspruch nehmenden Beschuldigten nicht anzunehmen. Der strafverfolgende Staat muss sich nicht auf Redlichkeit verweisen lassen, von der er nicht weiß, ob sie besteht."
Jede Zwangsmaßnahme mit Richtervorbehalt im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren erhält ihre Legitimität durch eben diesen Richtervorbehalt. Also dadurch, dass ein Richter die Rechtsprüfung vornimmt, ob mit der beantragten Zwangsmaßnahme zu Recht in Grundrechte des Beschuldigten oder einer anderen Person eingegriffen werden darf. Zu der gerade im Bereich des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts weit verbreiteten Praxis, wonach von den Ermittlungsbehörden vorformulierte Durchsuchungsbeschlüsse durch den Ermittlungsrichter nur noch ungeprüft unterzeichnet werden, ist schon an anderer Stelle geschrieben worden (vgl. Klose, NZWiSt 2017, 1; Sebastian Peters, AO-StB 2021, 372). Durchsuchungsmaßnahmen bei Anwalts- oder Steuerkanzleien, deren Angehörige Berufsgeheimnisträger gem. § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO sind und für die sich bereits aus §§ 97, 160a StPO erhebliche Einschränkungen bei Ermittlungsmaßnahmen ergeben, werden dabei auch von Seiten der Ermittlungsbehörden und Gerichte – richtigerweise – als besonders sensibel gehandhabt. Regelmäßig hat man den Eindruck, dass auf entsprechende Anträge doch etwas mehr Mühe verwendet wurde und dass die Prüfungstiefe des Ermittlungsrichters eine andere ist; es findet eine Einzelfallprüfung statt.
§ 95 Abs. 1 StPO bestimmt eindeutig: "Wer einen Gegenstand der vorbezeichneten Art in seinem Gewahrsam hat, ist verpflichtet, ihn auf Erfordern vorzulegen und auszuliefern." Und § 95 Abs. 2 StPO sichert dies ab wie folgt. "Im Falle der Weigerung können gegen ihn die in § 70 bestimmten Ordnungs- und Zwangsmittel festgesetzt werden. Das gilt nicht bei Personen, die zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt sind." Entweder ist deshalb ein Gegenstand herauszugeben oder er ist es nicht. Das Gesetz kennt keine Konstellationen, in denen eine Herausgabepflicht nicht besteht, aber der "redliche" Berufsgeheimnisträger dem "strafverfolgenden Staat" Gegenstände einfach so herausgeben würden und der Staat dies auch erwarten dürfe. Derartige Begrifflichkeiten, die keine juristischen sind, sondern ausnahmslos moralisch geprägt sind, kennt die StPO nicht. Denn – wie eingangs gesagt – die StPO ist kodifiziertes Verfassungsrecht und soll Willkür der Strafverfolgungsbehörden und der Gerichte vorbeugen. Was aber soll willkürlicher sein, als moralische Begriffe, unter die mit juristischen Auslegungsmethoden nicht sauber ein Sachverhalt subsumiert werden kann, plötzlich in einen derartigen Kontext zu geben?
In dem vom LG Köln entschiedenen Fall habe es sich anlässlich einer Durchsuchung beim Beschuldigten (§ 102 StPO) "ergeben", dass sich "nicht beschlagnahmefreie" Unterlagen des Beschuldigten in den Kanzleiräumen der von ihm beauftragten Rechtsanwälte befunden hätten, nach denen daraufhin in eben jenen Kanzleiräumen "gesucht" werden sollte. Die Frage, die sich hier stellt ist: Welche? Also, welche gesichert nicht beschlagnahmefreien Unterlagen befanden sich in den Kanzleiräumen? Wenn dies tatsächlich schon feststand, warum wurde es dann nicht konkret im Durchsuchungsbeschluss genannt? Und hier ist das Problem der Entscheidung des LG Köln und damit auch des Verweises in den AStBV (St) 2023/2024: Hätte man das, was man sucht, genau bezeichnen können, hätte man es einfach beschlagnahmt. Tatsächlich war die genaue Bezeichnung den Ermittlungsbehörden aber nicht mög...