Birthe Kramer, Dietrich Weilbach
Rz. 93d
In jüngster Zeit ist die europarechtliche Vereinbarkeit des § 1 Abs. 3 GrEStG in Einbringungsfällen angezweifelt worden. Es wird insoweit die Auffassung vertreten, diese Regelung stehe im Gegensatz zu der EG-Richtlinie 69/335/EWG des Rates v. 17.7.1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (ABl. L 249 v. 3.10.1969, 25). Denn diese Richtlinie schließe für bestimmte, darin geregelte Vorgänge auf gesellschaftsrechtlicher Ebene eine Erhebung von Grunderwerbsteuer aus. § 1 Abs. 3 GrEStG sei wegen der Steuerbarkeit der Einbringung von Anteilen in eine Kapitalgesellschaft mit Art. 10 der Richtlinie 69/335/EWG nicht vereinbar und könne daher insoweit keine Grunderwerbsteuer auslösen. In diesem Zusammenhang wurde empfohlen, gegen Grunderwerbsteuerbescheide, denen ein entsprechender, von § 1 Abs. 3 GrEStG erfasster Einbringungsvorgang zugrunde liegt, Einspruch einzulegen und die Bestandskraft der Steuerfestsetzung so lange offen zu halten, bis zu dieser Rechtsfrage eine höchstrichterliche Entscheidung ergangen ist (vgl. hierzu den Aufsatz von Spengel/Dörrfuß, DStR 2003, 1059ff.).
Entsprechenden Einspruchs- und Klageverfahren war aus den nachfolgenden Gründen kein Erfolg beschieden.
Zunächst ist festzustellen, dass die Besteuerung nach § 1 Abs. 3 GrEStG auch bei der Einbringung von Anteilen an einer Gesellschaft mit Grundbesitz in eine andere Gesellschaft an der spezifisch grunderwerbsteuerrechtlichen Zuordnung von Grundstücken anknüpft und damit nicht den gesellschaftsrechtlichen Vorgang der Einbringung bzw. des Anteilserwerbs erfasst. Des Weiteren ist die Rechtmäßigkeit des § 1 Abs. 3 GrEStG in einer Vielzahl von Entscheidungen der Finanzgerichte und der höchstrichterlichen Finanzrechtsprechung überprüft und bestätigt worden, ohne dass dabei jemals ein auch nur vager Hinweis auf die Unvereinbarkeit dieser Vorschrift mit dem EG-Recht verbunden gewesen wäre. Nach der Rechtsprechung des BFH muss vielmehr von der Konformität auch des § 1 Abs. 3 GrEStG mit dem europäischen Recht ausgegangen werden (vgl. BFH v. 5.11.2002, BFH/NV 2003, 505). Darüber hinaus hat § 1 Abs. 3 GrEStG auch einer verfassungsrechtlichen Prüfung standgehalten. Danach verstößt dieser gesetzliche Tatbestand und der damit verbundene Durchgriff durch eine Kapitalgesellschaft insbesondere nicht gegen Art. 3 GG (vgl. BVerfG v. 16.5.1969, HFR 1969, 398).
Im Übrigen ist nicht erkennbar, weshalb die Richtlinie 69/335/EWG des Rates v. 17.7.1969 i. d. F. der Richtlinien 73/79, 73/80, 74/553 und 85/303 (ABl. L 249 v. 3.10.1969, ABl. L 103 v. 18.4.1973, ABl. L 303 v. 13.11.1974 und ABl. L 156 v. 15.6.1985) es verbieten sollte, Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 3 GrEStG für Einbringungsvorgänge festzusetzen und zu erheben. Offenkundig hat die genannte Richtlinie ausschließlich Bedeutung für die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital. Mit ihr soll insbesondere der freie Kapitalverkehr innerhalb der Gemeinschaft gewährleistet bzw. gefördert und eine Harmonisierung der Besteuerung von Kapitaleinlagen in Gesellschaften herbeigeführt werden. Bei der Grunderwerbsteuer handelt es sich aber um eine direkte Steuer, was bei Anwendung des § 1 Abs. 3 GrEStG auch insbesondere dadurch zum Ausdruck kommt, dass die entsprechenden Vertragsbeteiligten gleichzeitig Steuerschuldner (§ 13 Nr. 1 GrEStG) sind. Dies ist bei indirekten Steuern wie der Gesellschaftsteuer aber nicht der Fall (vgl. dazu EuGH v. 11.12.1997, C-42/96).
Während die inzwischen abgeschaffte Gesellschaftsteuer als indirekte Steuer Kapitalumsätze im Zusammenhang mit dem Ersterwerb von Gesellschaftsrechten an einer inländischen Kapitalgesellschaft und bestimmte Kapitalzuführungen der Besteuerung unterwarf, enthält das Grunderwerbsteuerrecht keinen mit dieser Zielsetzung vergleichbaren Tatbestand, der entsprechende Kapitalaufstockungen durch Einlagen erfasst. Dies gilt uneingeschränkt auch für § 1 Abs. 3 GrEStG, der lediglich – im Rahmen einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise – auf die geänderte grunderwerbsteuerliche Zuordnung von Grundstücken infolge des Übergangs von Anteilen an einer Gesellschaft mit Grundbesitz abstellt. Die Voraussetzungen des Art. 4 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 69/335/EWG sind damit nicht erfüllt.
Eine Qualifikation der Grunderwerbsteuer aus § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG als indirekte Steuer i. S. v. Art. 4 und 5 der EG-Richtlinie ist auch schon deshalb nicht vorstellbar, weil die Besteuerung des § 1 Abs. 3 GrEStG am Wert des "erworbenen" Grundstücks (Grundstückswert i. S. d. § 138 Abs. 2 oder 3 BewG) anknüpft, während bei einer Besteuerung nach gesellschaftsteuerrechtlichen Kriterien vom tatsächlichen Wert aller Anteile auszugehen wäre.
Der Grunderwerbsteuertatbestand der (mittelbaren) Anteilsvereinigung i. S. d. § 1 Abs. 3 GrEStG verstößt nach dem rechtskräftigen Urteil des FG Münster v. 9.11.2004 (EFG 2005, 472) nicht gegen die Richtlinie 69/335/EWG vom 17. Juli 1969 zur Harmonisierung von indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital. Ein solcher Ve...