Birthe Kramer, Dietrich Weilbach
Rz. 90
Die Vereinigung von mindestens 90 % der Anteile i. S. v. § 1 Abs. 3 Nr. 1 und 2 GrEStG setzt einen Rechtsvorgang hinsichtlich des bürgerlich-rechtlichen Anspruchs auf Übertragung der Anteile oder des bürgerlich-rechtlichen Erwerbs der Anteile und eine auf dem jeweiligen Rechtsvorgang beruhende rechtliche Vereinigung voraus. Eine allein wirtschaftliche Vereinigung der Anteile reicht hierzu nicht aus (vgl. BFH v. 26.2.1975, BStBl II 1975, 456, und BFH v. 10.8.1988, BStBl II 1988, 959).
Während § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG auf ein Rechtsgeschäft abstellt, das den Anspruch auf Übertragung eines Anteils oder mehrerer Anteile der Gesellschaft begründet, erfasst § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG Anteilsvereinigungen, die nicht aufgrund eines solchen Rechtsgeschäfts eintreten. § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG ist im Verhältnis zu § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG subsidiär, sodass die Verwirklichung des Tatbestands des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG eine Besteuerung der späteren Übertragung von Anteilen nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG ausschließt. Allerdings unterliegen Grundstücke, die der Gesellschaft in der Zeit zwischen dem schuldrechtlichen Geschäft und dem nachfolgenden Übergang der Anteile erstmals zuzuordnen sind, einer Besteuerung nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG (vgl. BFH v. 12.7.1972, II 81/65, BStBl II 1972, 913, und BFH v. 8.11.1978, II R 82/73, BStBl II 1979, 153).
Von § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG wird auch der Übergang von Anteilen kraft Gesetzes erfasst. Hierzu gehören die Fälle, in denen sich der Anteilsübergang im Wege einer Umwandlung vollzieht (z. B. Verschmelzungen, Spaltungen); zum Fall der landesrechtlich erlaubten Umwandlung von Wohnungsvermietungsunternehmen vgl. § 1 Rz. 41a. Eine Anteilsvereinigung nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG tritt ebenfalls ein, wenn Anteile eingezogen werden (vgl. § 34 GmbHG, § 237 AktG) und hierbei untergehen und sich mindestens 90 % der verbleibenden Anteile nur noch in einer Hand befinden (vgl. BFH v. 10.8.1988, II R 193/85, BStBl II 1988, 959, und BFH v. 14.2.1990, II B 107/89, BStBl II 1990, 390). Eine Anteilsvereinigung erfolgt auch dann, wenn Fremdanteile nicht eingezogen, sondern von der Gesellschaft selbst erworben werden und sich die restlichen Anteile im maßgebenden Quantum in einer Hand befinden (vgl. bereits RFH v. 9.2.1932, RFHE 30, 199). Dieser Beurteilung liegt die Tatsache zugrunde, dass einer Kapitalgesellschaft aus den von ihr selbst gehaltenen eigenen Anteilen keine Rechte zustehen und die Gesellschaft nicht ihr eigener Gesellschafter sein kann (vgl. § 71 b AktG; BGH v. 30.1.1995, II ZR 45/94, NJW 1995, 1027; BFH v. 27.1.1954, II 189/53 U, BStBl III 1954, 83). Dementsprechend verwirklicht der einzige verbleibende Gesellschafter einer grundbesitzenden GmbH den Tatbestand einer Anteilsvereinigung i. S. d. § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 2 GrEStG auch dann, wenn nicht er selbst, sondern die GmbH den Geschäftsanteil des anderen Gesellschafters erwirbt. Zwar kann zivilrechtlich eine GmbH eigene Anteile halten (§ 33 Abs. 2 und 3 GmbHG); dies ändert aber nichts daran, dass sie begrifflich keine von ihr selbst verschiedene Person sein kann. Der Gesellschafter, der mindestens 90 % der nicht von der Kapitalgesellschaft selbst gehaltenen Anteile an dieser hält, beherrscht das Vermögen der Gesellschaft in gleicher Weise, wie wenn der Gesellschaft selbst keine Anteile zustünden (BFH v.18.9.2013, II R 21/12, BStBl II 2014, 326, m. w. N.; BFH v. 20.1.2015, II R 8/13, BFH/NV 2015, 756). Die Anteile, die eine Kapitalgesellschaft an sich selbst hält, sind daher bei der Berechnung der 90 %-Grenze auszusondern (BFH v. 25.8.2010, II R 65/08). Für die Frage, ob das maßgebliche Quantum von mindestens 90 % erfüllt ist, ist daher auf die Höhe der Beteiligung des jeweiligen Gesellschafters in Bezug auf das um die eigenen Anteile verminderte Stammkapital bzw. Grundkapital abzustellen (vgl. auch BFH v. 16.1.2002, II R 52/00, BFH/NV 2002, 1053, und FG Münster v. 22.2.2011, 8 K 3034/08 GrE, EFG 2011, 1274).
Beispiel 1:
Eine Kommune ist zu 50 % an einer GmbH X beteiligt. Die anderen 50 % der Anteile hält die AG Y, die 2009 ihre gesamte Beteiligung an die GmbH X selbst veräußert. Mit dem Erwerb der eigenen Anteile durch die GmbH X sind in der Person der Kommune sämtliche Anteile an der GmbH i. S. v. § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG vereinigt. Die von der GmbH X gehaltenen eigenen Anteile sind nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nicht zu berücksichtigen.
Beispiel 2:
An einer GmbH sind A zu 55 %, B zu 35 % und C zu 10 % beteiligt.
Variante 1: Gesellschafter B und C scheiden zum 31.12.2011 aus der GmbH aus; ihre Anteile (45 %) werden von der GmbH selbst erworben.
Variante 2: Die GmbH erwirbt nur 36 % der Anteile von B und C und die Tochter von A erwirbt die restlichen 9 % der Anteile von B und C.
Im Fall von Variante 1 hält A 100 % an dem um die eigenen Anteile der GmbH verminderten Stammkapital; es tritt somit eine Anteilsvereinigung i. S. v. § 1 Abs. 3 GrEStG ein. Im Fall der Variante 2 wird der Tatbestand der Anteilsvereinigung i. S. v. § 1 ...