Dietrich Weilbach, Birthe Kramer
Rz. 13
Der Anwendungsbereich des § 16 Abs. 1 GrEStG erstreckt sich auf die Rückgängigmachung eines Erwerbsvorgangs aufgrund einer freiwilligen Vereinbarung (§ 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG) oder einem vorbehaltenen Rücktritts- oder Wiederkaufsrecht (ebenfalls § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG) sowie auf die Fälle, in denen die Rückgängigmachung auf einem Rechtsanspruch wegen Nichterfüllung der Vertragsbedingungen beruht (§ 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG).
Die Anwendung des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG ist im Gegensatz zu der der Nr. 2 zeitlich eingeschränkt. Die Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs muss innerhalb von 2 Jahren seit der Entstehung der Steuer erfolgen. Eine Rückabwicklung aufgrund eines streitigen Rechtsanspruchs kann sich mehrere Jahre hinziehen, der Zeitpunkt einer Rückgängigmachung kraft Vereinbarung oder aufgrund eines vorbehaltenen Rücktritts- oder Wiederkaufsrechts kann von den Vertragspartnern weitgehend frei bestimmt werden. Die Frist von zwei Jahren nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG beginnt in dem Zeitpunkt, in dem die Steuer entstanden ist (§ 38 AO, § 14 GrEStG). Innerhalb dieser Frist muss die Rückgängigmachung tatsächlich vollzogen sein (vgl. BFH v. 6.5.1969, II 87/64, BStBl II 1969, 556). Der Antrag nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG muss nicht vor Ablauf der zweijährigen Frist gestellt werden. Dieser nicht formbedürftige Antrag, ist jedoch innerhalb eines Jahres nach Eintritt des Ereignisses zu stellen, das die Aufhebung oder Änderung der Steuerfestsetzung begründet. Zum Antrag berechtigt ist derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist (vgl. § 37 Abs. 2 AO). Wird die Frist von zwei Jahren versäumt, kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 AO zwar in Betracht. FG Saarland v. 10.12.1986, I 159/85, EFG 1987, 188 verneint Wiedereinsetzung, wenn eine Frist den zeitlichen Anwendungsbereich der Norm abgrenzt und keine Verhaltenspflichten des Steuerbürgers gegenüber der Verwaltung begründet, die Darlegung der Hinderungsgründe wird jedoch praktisch mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sein.
Eine Rückgängigmachung i. S. v. § 16 Abs. 1 Nr. 1 und 2 GrEStG muss nicht durch eine ausdrückliche Aufhebung des Erwerbsvorgangs erfolgen; auch ein bloßer Rückkauf des Grundstücks kann zu einer solchen Rückgängigmachung führen (vgl. BFH v. 6.12.1978, II R 81/73, BStBl II 1979, 249 und BFH v. 25.10.1979, II R 35, BStBl II 1980, 129). Der anstelle einer Vertragsaufhebung durch Vertragsübernahme oder Vertragsbeitritt vorgenommene Neuabschluss eines Vertrags ist jedoch nicht nach § 16 Abs. 1 GrEStG (auch nicht nach § 16 Abs. 2 GrEStG) begünstigt. Eine Aufhebung des ursprünglichen Vertrags liegt nicht vor, wenn ein Vertrag über mehrere Grundstücke formal aufgehoben und im unmittelbaren Anschluss neue Kaufverträge mit dem gleichen Erwerber oder gesellschafteridentischen Erwerbern über identische Grundstücke geschlossen wird (FG Hamburg v. 7.8.2020, 3 K 171/19).
3.1 Die freiwillige, einvernehmliche Rückgängigmachung (§ 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG)
3.1.1 Formerfordernis für Aufhebungsvertrag
Rz. 14
Die Vorschrift des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG erfasst in erster Linie die auf einem freien Willensentschluss der Vertragsparteien beruhende und in deren gegenseitigem Einvernehmen erfolgende Aufhebung eines Erwerbsvorgangs durch einen Aufhebungsvertrag. Zwar schreibt § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG selbst die Form eines solchen Aufhebungsvertrags nicht vor. Nach der Rechtsprechung des BGH (vgl. BGH v. 30.4.1982, V ZR 104/81, NJW 1982, 1639; BGH v. 7.10.1994, V ZR 102/93, NJW 1994, 3346), die hierzu heranzuziehen ist, weil die Rückgängigmachung zivilrechtlich wirksam erfolgen muss (vgl. BFH v. 8.8.1990, II R 184/87, BFH/NV 1991, 267, und BFH v. 8.11.1995, II R 87/93, BFH/NV 1996, 577), besteht für den Aufhebungsvertrag zumeist Formfreiheit, in besonderen Fällen aber Beurkundungszwang. Danach ergeben sich im Einzelnen folgende Formerfordernisse (vgl. hierzu auch FinMin Baden-Württemberg v. 7.8.2002, 3 – S 4543/9):
- Bei einem Kaufvertrag ohne Auflassungserklärung und ohne Eintragung einer Auflassungsvormerkung im Grundbuch kann der Kaufvertrag formfrei aufgehoben werden, weil die Aufhebung in diesem Fall keine unmittelbare oder mittelbare Rückübertragungs- oder Erwerbsverpflichtung begründet.
- Bei einem Kaufvertrag mit Auflassungserklärung und ohne Eintragung einer Auflassungsvormerkung bzw. ohne Antrag auf Eigentumsumschreibung ist ebenfalls Formfreiheit gegeben, weil sich in diesen Fällen das Grundstück noch im Eigentum des Veräußerers befindet. Entsprechendes gilt, wenn der Veräußerer einen jederzeit widerruflichen Eintragungsantrag zugunsten des Auflassungsempfängers gestellt hat.
- Liegen ein Kaufvertrag und ein Anwartschaftsrecht des Auflassungsempfängers vor, besteht für den Aufhebungsvertrag Beurkundungszwang (vgl. § 313 S. 1 BGB). Ein solches Anwartschaftsrecht ist gegeben, wenn der Auflassungsempfänger eine gesicherte Rechtsposition innehat, die der Veräußerer nicht mehr einseitig einschränken oder auflösen kann. Ein Anwartschaftsrecht des Auflassungsempfängers ist anzunehmen, wenn er selbst den Antrag auf Eigentumsumschreibung gestellt hat oder zu s...