Dietrich Weilbach, Birthe Kramer
Rz. 19
Fehlt es an einer vollständigen Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs, so führt dies dazu, dass die Anwendung des § 16 Abs. 1 GrEStG zu versagen ist. Solche i. S. v. § 16 Abs. 1 GrEStG missglückten Vertragsgestaltungen sind nicht selten in Fällen anzutreffen, in denen die Beteiligten nach Abschluss des Grundstückskaufvertrags eine grunderwerbsteuerlich – oder auch auf außersteuerlichen Gründen beruhende – vorteilhaftere Vereinbarung anstreben. Vereinbarungen, bei denen es sich im Ergebnis aber lediglich um Vertragsänderungen handelt, erfüllen die Anforderungen des § 16 Abs. 1 GrEStG an eine vollständige Rückabwicklung jedoch nicht. Eine bloße Vertragsänderung kann auch vorliegen, wenn der ursprüngliche Kaufvertrag zwar aufgehoben, unmittelbar danach aber ein neuer Kaufvertrag zwischen denselben Personen und hinsichtlich desselben Grundstücks abgeschlossen wird (vgl. BFH v. 17.10.1990, BFH/NV 1991, 413). Auf die ausdrückliche Bezeichnung einer vertraglichen Vereinbarung als "Rückgängigmachung" oder als "Aufhebungsvertrag" kommt es insoweit nicht an. Um bloße Vertragsänderungen, auf die § 16 Abs. 1 GrEStG keine Anwendung findet, handelt es sich auch dann, wenn Erwerbspersonen nachträglich wegfallen, beitreten oder ausgetauscht werden. Erwirbt z. B. ein Ehemann ein Grundstück zunächst allein und wird dann kurze Zeit später vereinbart, dass das Grundstück von Anfang an vom Ehemann und der Ehefrau gemeinsam (je zur ideellen Hälfte) erworben werden soll, so liegt darin keine Rückgängigmachung des ursprünglichen Rechtsgeschäfts i. S. d. § 16 Abs. 1 GrEStG, da der Veräußerer dadurch nicht die freie Verfügungsbefugnis über das Grundstück zurückerlangt hat und auch nicht zurückerlangen sollte. Zu der ursprünglichen, in voller Höhe weiterbestehenden Grunderwerbsteuer tritt in diesem Fall noch die weitere Grunderwerbsteuer für den Erwerb des hälftigen Grundstückseigentums durch die Ehefrau. Dabei kommt es nicht darauf an, dass eine Schenkung dieser Grundstückshälfte zwischen den Eheleuten ebenso grunderwerbsteuerfrei gewesen wäre wie deren Weiterveräußerung (vgl. § 3 Nr. 2 und Nr. 4 GrEStG), da sich die Grunderwerbsteuer als Rechtsverkehrsteuer allein an der tatsächlichen zivilrechtlichen Gestaltung orientiert (vgl. BFH v. 6.10.1976, BStBl II 1977, 253, und BFH v. 26.9.1990, BFH/NV 1991, 482). Die Steuerbefreiung des § 3 Nr. 4 GrEStG wäre im vorstehenden Sachverhalt nur anwendbar gewesen, wenn der spätere Eintritt der Ehefrau in den Vertrag sowohl zivilrechtlich als auch grunderwerbsteuerrechtlich als ein Erwerb vom Ehemann (Fall der Weiterveräußerung) angesehen werden könnte. Ein Fall der bloßen Vertragsänderung (Vertragsübernahme) liegt z. B. auch vor, wenn eine Bauträgerfirma ein Grundstück erwirbt, sich für den Fall eines ablehnenden Bauvorbescheids ein Rücktrittsrecht vorbehält und im Rahmen eines Rechtsstreits über die Ausübung des Rücktrittsrechts gegen Zahlung einer einmaligen Schadenspauschale eine Vereinbarung mit dem Veräußerer des Grundstücks trifft, wonach nunmehr anstelle des Bauträgers eine andere Gesellschaft das Grundstück erwerben soll (FG Hamburg v. 8.4.2010, 3 K 220/09, n. v.).
Die Abgrenzung der Weiterveräußerungsfälle und insoweit der Fälle der Vertragsübernahme und des Vertragsbeitritts von den Rückabwicklungsfällen hat anhand aller zwischen den Beteiligten geschlossenen Vereinbarungen zu erfolgen, wobei die allgemeinen zivilrechtlichen Auslegungsgrundsätze (§§ 133, 157 BGB) zu beachten sind. Danach sind neben dem Wortlaut der Verträge, denen naturgemäß primäre Bedeutung zukommt, auch die Begleitumstände, die Entstehungsgeschichte, die Äußerungen der Vertragsparteien über den Inhalt des Rechtsgeschäfts usw. zu würdigen (zu Vertragsübernahme und Vertragsbeitritt bei der Grunderwerbsteuer siehe ausführlich Hübner, Der Betrieb, 1994, 2044, und FinMin Baden-Württemberg v. 10.8.1995, S 4543/2).
Nach FG Hamburg v. 21.6.2011, 3 K 12/11, EFG 2011, 2007, ist ein mit einem Nichteigentümer geschlossener Grundstückskaufvertrag auch dann i. S. d. § 16 Abs. 1 GrEStG rückgängig gemacht, wenn er später wieder aufgehoben wird und der Erwerber gleichzeitig, d. h. in aufeinanderfolgenden Urkunden, einen neuen Kaufvertrag mit dem Eigentümer abschließt. Eine solche bewusst gewählte Gestaltung sei regelmäßig nicht als Vertragsübernahme auszulegen. Gegen diese Entscheidung wurde Revision eingelegt. Damit wurde erstmals eine Konstellation, in der ein Grundstück nach Aufhebung des ursprünglichen Grundstückskaufvertrags nicht an einen anderen Erwerber, sondern von einem anderen Veräußerer an den bisherigen Erwerber veräußert wird, unter dem Gesichtspunkt des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG einer höchstrichterlichen Entscheidung zugeführt. Der BFH hat im Revisionsverfahren die Entscheidung des FG Hamburg aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der BFH begründet seine abweichende grunderwerbsteuerrechtliche Auffassung damit, dass die Klägerin im Zusammenhang mit dem Abschluss des Aufhebungsvertrages – betreffend den ersten Kauf...