Dietrich Weilbach, Birthe Kramer
Rz. 16
Die bloße formale Aufhebung eines Erwerbsvorgangs reicht für die Anwendung des § 16 Abs. 1 GrEStG nicht aus. Die Vorschrift verlangt darüber hinaus eine vollständige (echte) Rückgängigmachung, d. h., der ursprüngliche Erwerbsvorgang muss in allen seinen rechtlichen und tatsächlichen (wirtschaftlichen) Wirkungen vollumfänglich beseitigt werden (vgl. BFH v. 6.5.1969, II 87/64, BStBl II 1969, 556, und BFH v. 9.3.1994, II R 86/90, BStBl II 1994, 413). Die an dem ursprünglichen Rechtsgeschäft Beteiligten müssen aus ihren vertraglichen Bindungen in der Weise entlassen werden, dass die Möglichkeit der Verfügung über das Grundstück nicht beim Erwerber verbleibt, sondern der Veräußerer seine ursprüngliche Rechtsstellung wiedererlangt (vgl. BFH v. BFH v. 28.3.2012, II R 42/11, BFH/NV 2012, 1486). Diese Voraussetzung ist häufig nicht erfüllt, wenn im Zusammenhang mit der "Rückgängigmachung" eines Erwerbsvorgangs eine Weiterveräußerung des Grundstücks erfolgt (vgl. BFH v. 23.8.2006, II R 8/05, BFH/NV 2007, 273 und ausführlich Rz. 5b). Damit zwischen den Vertragsbeteiligten keine wie auch immer gearteten grunderwerbsteuerrechtlich relevanten Beziehungen rechtlicher und tatsächlicher Art mehr bestehen bleiben, ist es erforderlich, dass die Vertragsbeteiligten die aus dem Erwerbsvorgang resultierenden Wirkungen in ihrer Gesamtheit aufheben und in den vor der Verwirklichung dieses Erwerbsvorgangs bestehenden Rechtszustand zurückversetzt werden. Dazu gehört, dass die Übereignungsverpflichtung des Veräußerers aufgehoben und eine evtl. zugunsten des Erwerbers eingetragene Auflassungsvormerkung beseitigt wird. Der Veräußerer muss wieder die uneingeschränkte Verfügungsmöglichkeit über das Grundstück zurückerhalten. Der Erwerber darf bei der Weiterveräußerung des Grundstücks keine tatsächliche oder rechtliche Möglichkeit mehr haben, seine wirtschaftlichen Interessen zu wahren. Er muss zudem von allen Verpflichtungen aus dem Erwerbsvorgang freigestellt werden und ihm müssen vom Veräußerer, der seine aus dem Erwerbsvorgang herrührenden Ansprüche verliert (z. B. den Anspruch auf den Kaufpreis aus § 433 Abs. 2 BGB), die bereits erbrachten Leistungen zurückgewährt werden. Es ist mithin auch eine vollständige Rückgewähr des gezahlten Kaufpreises erforderlich. Der Rückabwicklung und der Anwendung des § 16 Abs. 1 GrEStG steht lediglich nicht entgegen, wenn sich die Vertragsparteien die während der Besitzzeit gezogenen Nutzungen und Lasten nicht gegenseitig erstatten (vgl. FG Münster v. 22.1.2009, 8 K 5035/06 GrE, EFG 2009, 770). Allerdings ist höchstrichterlich bisher noch nicht geklärt, ob der ursprüngliche Grundstückskäufer den entrichteten Kaufpreis voll umfänglich zurückerhalten muss. Gegen eine solche Forderung könnte sprechen, dass nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG auch die Ausübung eines Wiederkaufrechts begünstigt ist und im Fall des Wiederkaufs gem. § 456 Abs. 2 BGB ein vom ursprünglichen Kaufpreis abweichender Kaufpreis vereinbart werden kann. Die gegen FG Münster v. 22.1.2009, 8 K 5035/06 GrE, EFG 2009, 770, eingelegte Revision hat diese Frage nicht gelöst, weil die Entscheidung vom BFH aus anderen Gründen aufgehoben wurde (BFH v. 22.6.2010, II R 24/09, BFH/NV 2010, 2300). Behrens/Schmitt, BB 2009, 1337, vertreten die Auffassung, dass die Höhe des bei der Rückgängigmachung bzw. dem Rückkauf vereinbarten Kaufpreises nicht dem ursprünglichen Kaufpreis entsprechen muss und dieser Kaufpreis ohne Relevanz für die Anwendung des § 16 Abs. 1 Nr. 1 (bzw. Abs. 2 Nr. 1) GrEStG ist. Das ist nach unserer Auffassung unzutreffend, weil damit die Rückabwicklung nicht vollumfänglich gewährleistet ist und ehedem eine Ausnahmeregelung von der Besteuerung ökonomischer Transaktionen darstellt.