Dietrich Weilbach, Birthe Kramer
3.2.1 Nichterfüllung von Vertragsbedingungen
Rz. 21
Die Vergünstigung des § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG setzt voraus, dass ein Rechtsanspruch eines der Vertragsbeteiligten auf Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs besteht, weil Vertragsbedingungen (i. S. v. Vertragsbestimmungen, vgl. BFH v. 23.2.1956, BStBl II 1956, 131) nicht erfüllt worden sind. Ein solcher Rechtsanspruch kann sich aus gesetzlichen Vorschriften ergeben, so aus dem Rücktrittsrecht wegen Verzugs oder Unmöglichkeit der Vertragserfüllung durch den Schuldner (§ 323 Abs. 3, § 325 und § 326 BGB), aus der Wandlung (§ 462 BGB) – z. B. wegen Sachmängelhaftung des Veräußerers (§ 459 BGB) – oder aus dem Wegfall der Geschäftsgrundlage (vgl. BFH v. 10.6.1969, BStBl II 1969, 559). Er kann aber auch aufgrund vertraglich vorbehaltener Rücktrittsrechte oder Wiederkaufsrechte vorliegen, wenn diese für den Fall der Nichterfüllung von Vertragsbedingungen eingeräumt worden sind (vgl. BFH v. 20.10.1983, BStBl II 1983, 140; BFH v. 8.6.1988, II R 90/86, BFH/NV 1989, 728; BFH v. 18.11.2009, II R 11/08, BStBl II 2010, 498). Ist ein Rücktrittsrecht vom nachträglichen Eintritt bestimmter Ereignisse abhängig, unterfällt sowohl für vertraglich vereinbarte als auch für gesetzliche Rücktrittsrechte die Ausübung bei vollständiger Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs dem § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG (vgl. BFH v.18.11.2009, II R 11/08, BStBl II 2010, 498). Zur Rückabwicklung eines Kaufvertrags, weil ein unbehebbarer Mangel geltend gemacht wird, siehe FG Berlin-Brandenburg vom 30.03.2017, 12 K 15340/15, und Bestätigung durch BFH v. 19.2.2020, II R 4/18, BStBl 2020 II, 665.
Danach muss die Nichterfüllung von Vertragsbedingungen zivilrechtlich einen vertraglichen oder gesetzlichen Rechtsanspruch auf Rückgängigmachung des Grundstücksgeschäfts vermitteln, der einseitig und gegen den Willen des anderen, am Grundstücksgeschäft Beteiligten erzwungen werden kann (vgl. auch BFH v. 8.6.1988, BFH-NV 1989, 728). Der Rechtsanspruch kann nach Ablauf der Zwei-Jahres-Frist nicht neu begründet werden.
3.2.2 Durchsetzbarkeit des Anspruchs
Rz. 22
Voraussetzung für die Anwendung des § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG ist, dass die Rückgängigmachung notfalls auch gegen den Willen des anderen Vertragspartners durchgesetzt werden kann. Steht ein derartiger Rückabwicklungsanspruch bzw. ein entsprechendes Rücktrittsrecht unbestritten fest, ist es aber nicht unbedingt erforderlich, dass die Rückabwicklung bzw. der Rücktritt durch einseitigen Rechtsakt (empfangsbedürftige Willenserklärung) erzwungen wird. In diesem Fall kann eine Rückgängigmachung auch durch eine Vereinbarung zwischen den Beteiligten, z. B. im Rahmen eines Vergleichs oder eines Aufhebungsvertrags, erfolgen (vgl. BFH v. 6.5.1969, BStBl II 1969, 559; BFH v. 8.6.1988, BFH/NV 1989, 728). Der Rechtsanspruch auf Rückgängigmachung (Rücktritt) darf aber nicht erst im Zuge des Vergleichs oder des Aufhebungsvertrags geschaffen werden.
Wird in einem Grundstückskaufvertrag ein vom nachträglichen Eintritt bestimmter Ereignisse abhängiges Rücktrittsrecht – z. B. ein wirksamer Erschließungsvertrag – vereinbart, unterfällt die Ausübung dieses Rücktrittsrechts dem § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG, wenn der Erwerbsvorgang voll umfänglich rückabgewickelt wird. Damit ist die Zweijahresfrist der Nr. 1 nicht anwendbar (BFH v. 18.11.2009, II R 11/08, BFH/NV 2010, 359).
Ein Anspruch aus § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG verlangt in jedem Fall eine echte, d. h. vollständige und tatsächliche Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs bzw. einen rechtlich und tatsächlich vollständigen Rückerwerb (vgl. BFH v. 27.1.1982, II R 119/80, BStBl II 1982, 425; BFH v. 25.8.2010, II R 35/08, BFH/NV 2010, 2301; BFH v. 28.3.2012, II R 42/11, BFH/NV 2012, 1486; BFH v. 13.11.2012, II B 123/11, BFH/NV 2013, 255). Der Veräußerer muss auch hier das volle Eigentum zurückerhalten. Eine teilweise Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs in dem Sinne, dass nur eine Teilfläche des erworbenen Grundstücks zurückübertragen wird, ist aber möglich und führt nicht zum Ausschluss der Vergünstigung des § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG, sondern zu einer entsprechenden anteiligen Vergünstigung nach dieser Vorschrift.
3.2.3 Löschung einer Auflassungsvormerkung
Rz. 23
Eine tatsächliche Rückgängigmachung setzt nach der Rechtsprechung des BFH, insbesondere die Löschung einer zugunsten des Erwerbers eingetragenen Auflassungsvormerkung voraus. Es genügt nicht, dass der Erwerber zur Bewilligung der Löschung einer solchen Vormerkung erst nach einer einvernehmlichen Lösung der Vertragsparteien über die Modalitäten der Rückabwicklung des Rechtsgeschäfts bereit ist (vgl. BFH v. 19.3.2003, BStBI II 2003, 770; BFH v. 16.2.2005, BStBI II 2005, 495). Bei dieser eindeutigen Sichtweise des BFH ist fraglich, ob die Rückgängigmachung eines Grundstückskaufvertrags ausnahmsweise dann angenommen werden kann, wenn eine noch zugunsten des Erwerbers bestehende Vormerkung von diesem nicht mehr für die Erfüllung des ursprünglichen Rechtsgeschäfts, sondern nur als Druckmittel für seine Schadensersatzansprüche eingesetzt wird, so wie dies das Finanzgericht Brandenburg in seinem rechtskräftigen Urteil...