Birthe Kramer, Dietrich Weilbach
Rz. 1
Nach § 4 Nr. 1 GrEStG sind Grundstücksübertragungen zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts aus Anlass des Übergangs von Aufgaben oder aus Anlass von Grenzänderungen befreit. Trotz des Wortlauts der Vorschrift, nach der nur gefordert wird, dass das Grundstück von einer auf die andere "juristische Person" übergeht, müssen sowohl der Veräußerer als auch der Erwerber juristische Personen des öffentlichen Rechts sein.
Rz. 2
§ 4 Nr. 1 GrEStG entspricht inhaltlich der früheren Fassung des § 4 Abs. 1 Nr. 5 GrEStG 1940 und erhielt durch Art. 15 Nr. 2 des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 v. 24.3.1999 (BGBl I 1999, 402) einen weitergehenden Regelungsbereich, der im Gegensatz zum früheren Regelungsgehalt nunmehr alle juristischen Personen des öffentlichen Rechts in die Befreiung einbezieht. Zuvor wurden von der Regelung nur "Körperschaften" des öffentlichen Rechts erfasst. Mit der Neuregelung wurde zudem die Voraussetzung eingeführt, dass das Grundstück nach seiner Übertragung keinem Betrieb gewerblicher Art dienen darf. Die Rechtsänderung erstreckt sich auf alle Erwerbsvorgänge, die nach dem 31.12.1997 verwirklicht wurden bzw. werden (vgl. § 23 Abs. 5 i. d. F. des Art. 15 Nr. 11 Buchst. c Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002). Die Rückwirkung der Neufassung hatte keine Auswirkungen auf bereits bestandskräftige Steuerfestsetzungen.
Rz. 3
Das Erfordernis, dass die Anwendung des § 4 Nr. 1 GrEStG auf Fälle beschränkt ist, bei denen sowohl der Veräußerer als auch der Erwerber juristische Personen des öffentlichen Rechts sind, macht die Auslegung der Vorschrift nach dem Gesetzeszweck und dem Sinnzusammenhang deutlich. Es reicht daher nicht aus, wenn es sich beim Verkäufer um eine juristische Person des privaten Rechts handelt. Dies hat jetzt der BFH mit Urteil v. 9.11.2016 bestätigt (II R 12/15, BFH/NV 2017, 393ff.). Im Streitfall hatte eine gemeinnützige GmbH im Rahmen ihrer Liquidation ihre Grundstücke an den Landkreis veräußert. Der Auffassung des Klägers, auch eine Übertragung von einer juristischen Person des Privatrechts auf eine juristische Person des öffentlichen Rechts sei von der Steuerbefreiung des § 4 Nr. 1 GrEStG umfasst, hat der BFH eine eindeutige Absage erteilt und damit die Vorentscheidung des Hessischen FG v. 21.1.2015, 5 K 908/10, STE 2015, 198 bestätigt. Bereits mit § 4 Abs. 1 Nr. 5 GrEStG 1940 bezweckte der Gesetzgeber Befreiung sämtlicher Grundstücksbewegungen zwischen Körperschaften mit Hoheitsbefugnissen, wenn ein Grundstück im Nachgang zu einer verwaltungsinternen Aufgabenverschiebung den Eigentümer wechselte (vgl. RStBl 1940, 387, 397). Die Steuerbefreiung des Übergangs eines Grundstücks von oder auf eine Körperschaft des privaten Rechts war hiernach nicht beabsichtigt. Für die heute geltende Fassung des § 4 Nr. 1 GrEStG gilt nichts anderes (vgl. Begründung zum Bundesratsentwurf des GrEStG 1980 unter B zu § 4 Nr. 1, BT-Drs. 9/251; BT-Drs. 14/443 S. 1, 42, 43; Kugelmüller-Pugh, in Viskorf, GrEStG, 20. Aufl. 2021, § 4 Rz. 11). Dementsprechend ist z. B. die Übertragung von Grundstücken von einer gemeinnützigen GmbH auf eine Gebietskörperschaft des öffentlichen Rechts, die auch Alleingesellschafterin der gGmbH ist, nicht nach § 4 Nr. 1 GrEStG steuerbefreit. Ein solcher Begünstigungstatbestand kann auch nicht durch Auslegung geschaffen werden. Das GrEStG weist insoweit nicht die nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. BFH v. 21.1.2004, II R 1/02, BFH/NV 2004, 120) erforderliche Regelungslücke auf.
Rz. 4
Was unter juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu verstehen ist, ist nicht legal definiert. Der Begriff bezeichnet rechtliche Gebilde, die ihre Rechtsfähigkeit und ihren Aufbau aus dem öffentlichen Recht des Bundes oder eines Bundeslandes herleiten (vgl. BFH v. 13.3.1974, I R 7/71, BStBl II 1974, 391). Nach der klassischen Verwaltungslehre unterscheidet man hier Körperschaften, Anstalten und Stiftungen. Unter den Begriff fallen damit zunächst alle Körperschaften des öffentlichen Rechts, also alle mitgliedschaftlich verfassten Organisationen des öffentlichen Rechts mit eigener Rechtspersönlichkeit, die staatliche (hoheitliche) Aufgaben wahrnehmen. Die Körperschaften des öffentlichen Rechts lassen sich in die Gebietskörperschaften (Bund, Länder, Gemeinden, Landkreise, Gemeindeverbände, Landschaftsverbände, Zweckverbände) und in sonstige Körperschaften des öffentlichen Rechts (Berufskammern – z. B. Ärzte-, Anwalts- und Steuerberaterkammern –, Handelskammern, Handwerkskammern, Industriekammern, Universitäten, Sozialversicherungsträger, Wasserverbände, Bodenverbände, Siedlungsverbände, Deichgenossenschaften) untergliedern. Auch die evangelische und katholische Kirche sind gemäß Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 WRV Körperschaften des öffentlichen Rechts (vgl. BFH v. 16.5.1975, III R 54/74, BStBl II 1975, 746). Eingeschlossen sind auch ihre Unterorganisationen, wie z. B. Orden, Bistümer, Diözesen, Dekanate und Gemeinden (vgl. BFH v. 8.7.1971, V R 1/68, BStBl II 1972, 70). Zu de...