Dietrich Weilbach, Birthe Kramer
Rz. 15
Die Verfassungskonformität des § 8 Abs. 2 GrEStG wurde in der Kommentierung zu Recht schon seit geraumer Zeit in Zweifel gezogen. Besonders zweifelhaft war es, ob die unterschiedlichen Bemessungsgrundlagen in § 8 Abs. 1 und Abs. 2 GrEStG (Gegenleistung und – ausnahmsweise – Grundbesitzwert) im Hinblick auf den Gleichheitssatz des Art. 3 GG mit der Verfassung in Einklang stehen würden. Ausschlaggebend dafür ist der Umstand, dass im Regelbemessungsfall (Ansatz der Gegenleistung) idealtypischerweise der gemeine Wert (Verkehrswert) abgebildet wird und praktisch zum Ansatz kommt, während die in den Fällen des § 8 Abs. 2 GrEStG der Besteuerung zugrunde zu legenden Grundbesitzwerte bei Weitem nicht das Verkehrswertniveau erreichen. Dies war bereits nach den empirischen Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts zur Anwendung der §§ 138ff. BewG bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer der Fall. Für die Grunderwerbsteuer gilt hier nichts anderes, weil die §§ 138ff. BewG insoweit keine abweichenden Bemessungskriterien vorsehen.
Grundsätzlich bestehen gegen den in § 8 Abs. 2 GrEStG verwendeten Ansatz typisierender Werte zwar keine verfassungsrechtlichen Einwände. Insbesondere erscheint die typisierende Bewertung in den Fällen des § 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und Nr. 3 GrEStG mit Art. 3 GG vereinbar. Kritisiert wird aber die Typisierung in den Fällen des § 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 GrEStG, in denen eine Gegenleistung durchaus vorhanden ist (vgl. hierzu Hofmann, GrEStG, 8. Aufl., § 8 Rz. 54 und 56; und Viskorf, in Boruttau, GrEStG, 16. Aufl. 2007, § 8 Rz. 15 und 15b). Letzterer hält mit seiner Kritik nicht zurück und führt u. a. aus:
Zitat
"Es ist völlig unverständlich und sachlich durch nichts gerechtfertigt, bei der für Zwecke der GrESt bedarfsweise vorzunehmenden Einzelwertermittlung ein Bewertungsverfahren anzuwenden, welches von vornherein nicht zum Ziel hat, Verkehrswerte oder zumindest Werte in der Nähe des Verkehrswerts zu ermitteln. Insoweit besteht eine deutliche Diskrepanz zur Regelung in § 12, die – wie die Regelung in § 8 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 – ebenfalls der Vereinfachung des Gesetzesvollzugs dienen soll, wonach im Einvernehmen mit dem Stpfl. von einer genauen Ermittlung der Steuer (gemeint ist der Gegenleistung) abgesehen und die Steuer pauschal festgesetzt werden kann, soweit das steuerliche Ergebnis nicht wesentlich geändert wird. Durch die Anknüpfung an die Grundbesitzwerte in § 8 Abs. 2 auch in den Fällen, in denen eine Gegenleistung tatsächlich vorliegt (Nr. 2), wird aber im Vergleich zu den Fällen des § 8 Abs. 1, wonach im Regelfall die (volle) Gegenleistung als Bemessungsgrundlage anzusetzen ist, das steuerliche Ergebnis in grober Weise geändert."
Beanstandet wurde in der Literatur auch die Bewertung der bebauten Grundstücke (vgl. Pahlke, in Pahlke/Franz, GrEStG, 3. Aufl. 2005, § 8 Rz. 62, und Viskorf, in Boruttau, GrEStG, 16. Aufl. 2007, § 8 Rz. 15), weil die im vorgeschriebenen Ertragswertverfahren nach § 146 BewG zu ermittelnden Grundstückswerte weit unter dem Verkehrswertniveau liegen und allenfalls 50 % dieses Niveaus erreichen.
Auch der BFH hatte massive Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 8 Abs. 2 GrEStG geäußert. Mit Beschluss v. 27.5.2009, II R 64/08 (DStR 2009, 1474), hat er das Bundesministerium der Finanzen aufgefordert, einem Revisionsverfahren zur Grunderwerbsteuer beizutreten, in dem die Verfassungsmäßigkeit der Grundbesitzbewertung für Zwecke der Grunderwerbsteuer zu prüfen ist. Ähnlich wie bereits bei der Anwendbarkeit der §§ 138ff. BewG zu Zwecken der Erbschaftsteuer wird auch hier die willkürliche Hinnahme von Wertverzerrungen gerügt.
Die Verfassungswidrigkeit gründet indes nicht darauf, dass die Norm typisierend die Grundbesitzwerte nach § 138 Abs. 2–4 BewG vorschreibt, und den Nachweis einer niedrigeren Gegenleistung nicht zulässt (BFH v. 31.8.2012, II B 9/12).
Im Urteilsfall erwarb eine GmbH mit Vertrag vom 18.12.2002 von ihrer Alleingesellschafterin – einer AG – den einzigen Geschäftsanteil an einer weiteren GmbH, die Eigentümerin eines unbebauten und eines bebauten Grundstücks war. Das Finanzamt setzte für den Kauf des GmbH-Anteils Grunderwerbsteuer auf der Grundlage gesondert festgestellter Grundstückswerte (§ 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 GrEStG i. V. m. § 138 Abs. 3 des BewG) fest. Einspruch und Klage blieben erfolglos.
Der BFH geht zwar in Übereinstimmung mit der Vorentscheidung davon aus, dass aufgrund des Erwerbsvorgangs vom 18.12.2002 Grunderwerbsteuer gegen die Klägerin festzusetzen war. Seiner Auffassung nach bestehen jedoch Bedenken, ob der dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Ansatz der gesondert festgestellten Grundbesitzwerte als Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer verfassungsgemäß ist. Diese Grundbesitzbewertung habe das BVerfG in dem zur Erbschaft- und Schenkungsteuer ergangenen Beschluss v. 7.11.2006, 1 BvL 10/02, BStBl II 2007, 192, in umfassender Weise als verfassungswidrig beanstandet. Es habe insbesondere festgestellt, dass die Grundbesitzwerte für bebaute Grun...