Prof. Dr. Stefan Schneider
Leitsatz
Ausgaben zur Tilgung einer Bürgschaftsverpflichtung durch den Arbeitnehmer einer Gesellschaft führen auch dann zu Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit, wenn eine Gesellschafterstellung vereinbart ist.
Normenkette
§ 9 Abs. 1 Satz 1, § 17, § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG
Sachverhalt
K war leitend in einer GmbH beschäftigt. Alleinige Gesellschafter und Geschäftsführer waren B und C. Die GmbH geriet 1999 in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Nachdem zunächst Kredite nicht gewährt worden waren, sollte K als weiterer Gesellschafter bei gleichzeitiger Stammkapitalerhöhung aufgenommen werden. Daraufhin wurden gegen Bürgschaften von B, C sowie K die Kredite gewährt. B und C beschlossen, das Stammkapital zu erhöhen und auch K zum Geschäftsführer der GmbH zu bestellen und ihn zum Mitgesellschafter zu machen. Allerdings kam es dann nicht mehr dazu; die GmbH stellte Insolvenzantrag. Ks Arbeitsverhältnis bei der GmbH endete. Bald darauf wurde K von den Banken aus der Bürgschaft in Anspruch genommen. Nach Vergleich bezahlte K darauf einen Teilbetrag, den er im Rahmen seiner ESt-Erklärung als (nachträgliche) Werbungskosten bei seinen Lohneinkünften erfolglos geltend machte. Auch die Klage blieb erfolglos (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16.3.2010, 6 K 1328/05, Haufe-Index 2335851, EFG 2010, 1423).
Entscheidung
Der BFH hob aus den unter den Praxis-Hinweisen erläuterten Erwägungen die Vorentscheidung auf und gewährte den Werbungskostenabzug.
Hinweis
Aufwendungen für die Inanspruchnahme aus Bürgschaften können Werbungskosten sein und als nachträgliche Werbungskosten bei den Lohneinkünften geltend gemacht werden, wenn die Übernahme der Bürgschaftsverpflichtung beruflich veranlasst gewesen ist. Das ist im Grundsatz geklärt und wird regelmäßig nur dann noch einen Streit zwischen FA und Steuerpflichtigem auslösen, wenn er nicht nur Arbeitnehmer, sondern auch Gesellschafter seines Arbeitgebers (AG oder GmbH) ist. Denn dann kann die Übernahme einer Bürgschaft auch durch seine Gesellschafterstellung veranlasst sein.
1. Die Frage, welcher Einkunftsart die Aufwendungen dann zuzurechnen sind, entscheidet sich aufgrund der Gesamtumstände des jeweiligen Einzelfalls danach, zu welcher sie nach Art und Weise die engere Beziehung haben (vgl. dazu zuletzt BFH, Urteil vom 25.11.2010, VI R 34/08, BFH/NV 2011, 680, BFH/PR 2011, 169 m.w.N.). Dieser reichlich unpräzise Maßstab ist allerdings für Fälle der vorliegenden Art, nämlich wenn ein wesentlich beteiligter Gesellschafter-Geschäftsführer Bürgschaften oder Darlehen gewährt, präzisiert: die Finanzhilfe soll dann weniger durch die berufliche Tätigkeit und mehr durch die Gesellschafterstellung veranlasst sein, dazu also die engere Beziehung aufweisen (BFH/PR 2011, 169 m.w.N.). Ist der Aufwand aus der Bürgschaftsinanspruchnahme in diesen Fällen dann nicht im Rahmen der Lohneinkünfte abziehbar, ist er dennoch nicht endgültig verloren. Denn ein steuermindernder Abzug der Aufwendungen ist dann im Rahmen der Einkünfte aus § 17 EStG möglich (nachträgliche Anschaffungskosten).
2. Im Streitfall erlangte K aber nie eine Beteiligung. Für diesen Fall entschied der BFH, dass der zusätzliche Veranlassungszusammenhang zur künftigen Gesellschafterstellung des K den Zusammenhang zu dessen Lohneinkünften nicht verdränge. Eine die Einkünfte mindernde Berücksichtigung des Aufwands als Auflösungsverlust (§ 17 Abs. 4 EStG) komme angesichts der nicht erreichten Gesellschafterstellung nicht in Betracht. Ein Abzug der offensichtlich im steuerbaren Bereich angefallenen Aufwendungen – die Übernahme der Bürgschaft stand im Zusammenhang mit dem Beruf und der Arbeitnehmerstellung des K – sei aber im Hinblick auf das objektive Nettoprinzip geboten. Daher seien die Aufwendungen zur Tilgung der Verpflichtung aus der Bürgschaftsübernahme als Werbungskosten abziehbar.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 16.11.2011 – VI R 97/10