War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 110 Abs. 1 S. 1 AO). Die Regelung erfasst nur verfahrensrechtliche und materiell-rechtliche Fristen, d.h. Handlungs- und Erklärungsfristen, die Beteiligte (§ 78 AO) oder Dritte gegenüber der Finanzbehörde zu wahren haben. Nicht wiedereinsetzungsfähig sind dagegen die gesetzlichen Fristen, die von den Finanzbehörden zu beachten sind, z.B. die Festsetzungsfrist (BFH v. 25.2.2010 – IX B 156/09, BFH/NV 2012, 176).
§ 110 Abs. 1 S. 1 AO fordert, dass jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Der Steuerpflichtige muss also darlegen, dass er durch sein Verhalten die Frist versäumt hat und dieses Verhalten entschuldbar ist. Dabei ist die Sorgfalt maßgebend, die dem Steuerpflichtigen unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des einzelnen Falls und seiner persönlichen Verhältnisse zugemutet werden kann. Schuldhaft handelt, wer die gebotene und ihm mögliche Sorgfalt bei der Fristwahrung außer Acht lässt und dadurch die Frist versäumt, vorausgesetzt, dass er die Versäumung voraussehen konnte und ihm ein anderes Verhalten zuzumuten war. Eine Fristversäumnis ist nur dann als entschuldigt anzusehen, wenn sie durch die äußerste, den Umständen des Falls angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhindert werden konnte.
Vertreter: § 110 Abs. 1 S. 1 AO bestimmt, dass der Steuerpflichtige sich das Verschulden seines Vertreters zuzurechnen hat. Vertreter können sowohl gesetzliche Vertreter (Eltern für ihre minderjährigen Kinder, Geschäftsführer) als auch gewillkürte Vertreter (Steuerberater, Rechtsanwälte o.Ä.) sein.
Erfüllungsgehilfe: Hiervon zu unterscheiden ist der Erfüllungsgehilfe, der als Hilfsperson (z.B. bei der Abgabe der Erklärung oder der Übermittlung des Einspruchs) mitwirkt. Trifft diesen ein Verschulden an der Versäumung der Frist, kommt eine Wiedereinsetzung nur dann nicht in Betracht, wenn auch den Steuerpflichtigen selbst ein Verschulden trifft, z.B. indem er eine als unzuverlässig bekannte Person bittet, seinen Einspruch beim FA in den Hausbriefkasten zu werfen.
Steuerlicher Berater: Wird der Steuerpflichtige durch einen Bevollmächtigten vertreten, handelt dieser schuldhaft, wenn sich die Fristversäumnis bei ordnungsgemäßer Büroorganisation hätte vermeiden lassen. Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwälte o.Ä. müssen ihren Bürobetrieb daher so einrichten, dass im Regelfall eine Fristversäumnis ausgeschlossen ist. Konkret bedeutet dies, dass sie für die Fehler ihrer Angestellten einstehen müssen und dieses Verschulden wiederum dem Mandanten zugerechnet wird. Allerdings können sie die Berechnung einfacher Fristen und die Fristüberwachung zuverlässigen Angestellten überlassen. Eine dennoch eintretende Fristversäumnis führt nur dann zu einem Verschulden des Bevollmächtigten, wenn sie auf eine mangelhafte Büroorganisation zurückzuführen ist.
Wiedereinsetzung wird grundsätzlich nur auf Antrag gewährt (§ 110 Abs. 1 S. 1 AO). Der Antrag ist innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 110 Abs. 2 S. 1 AO). Die Monatsfrist beginnt nach Ablauf des Tages, an dem das Hindernis beseitigt ist (z.B. Urlaubsrückkehr). Hat der Steuerpflichtige keine Kenntnis von der Fristversäumnis (z.B. bei Poststörungen), beginnt die Frist, wenn er positive Kenntnis von der Fristversäumnis hat oder diese bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen müssen.
Beraterhinweis Die Monatsfrist ist gewahrt, wenn innerhalb dieser Frist zumindest im Kern die Tatsachen vorgetragen werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Ist dies geschehen, können unklare oder unvollständige Angaben auch noch nach Fristablauf erläutert oder ergänzt werden. Wird die Monatsfrist entschuldbar versäumt, ist auch hierfür Wiedereinsetzung zu gewähren.
Die Tatsachen zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags sind grundsätzlich innerhalb der Antragsfrist darzulegen. Allerdings können unvollständige Angaben auch nach Ablauf der Antragsfrist erläutert oder ergänzt werden.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist entbehrlich, wenn innerhalb der Antragsfrist die versäumte Rechtshandlung nachgeholt wird (§ 110 Abs. 2 S. 4 AO). Dies betrifft Fälle, in denen der Steuerpflichtige zwar die Frist versäumt hat, von der Fristversäumnis jedoch keine Kenntnis hatte. Hier bedarf es keines zusätzlichen Wiedereinsetzungsantrags mehr. Allerdings besteht auch hier die Verpflichtung, die eine Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen innerhalb der Antragsfrist vorzutragen. Sind diese Tatsachen jedoch offensichtlich oder amtsbekannt (z.B. bei einem Poststreik), ist Wiedereinsetzung von Amts wegen zu gewähren.
Die versäumte Handlung ist innerhalb der Antragsfrist nachzuholen (§ 110 Abs. 2 S. 3 AO). Wird die versäumte Handlung nicht innerhalb der Antragsfrist nachgeholt, ist der Antrag unzulässig.
§ 110 Abs. 3 AO bestimmt, dass nach einem Jahr sei...