Leitsatz
Auch im Fall der Verwendung des geförderten Altersvorsorgekapitals zur Tilgung eines Darlehens nach § 92a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG muss ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Auszahlung des geförderten Kapitals und der Darlehenstilgung bestehen.
Normenkette
§ 82 Abs. 1 Satz 3, § 92a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 Sätze 1, 2 und 7, § 92b, § 93 Abs. 1, § 94 Abs. 2 EStG
Sachverhalt
Durch Bescheid vom Juni 2015 gestattete die ZfA der Klägerin, einen Betrag bis zu einer Höhe von 10.350 EUR aus ihrem Altersvorsorgevertrag für Sondertilgungen eines für die Anschaffung einer Wohnung aufgenommenen Darlehens zu verwenden. In diesem Bescheid wies die ZfA zudem darauf hin, dass der Entnahmevorgang und die wohnungswirtschaftliche Verwendung in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang erfolgen müssten. Die Klägerin leistete in den Jahren 2015 bis 2017 jeweils eine Sondertilgung i.H.v. 3.450 EUR.
Die ZfA war der Auffassung, die Sondertilgung für 2017 sei nicht mehr im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zur Auszahlung des Kapitals erfolgt, sodass insoweit eine schädliche Verwendung vorliege. Die Klage führte zur Aufhebung des Rückforderungsbescheids (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 6.8.2020, 15 K 10223/18, Haufe-Index 15284887, EFG 2021, 847). Das FG war der Auffassung, die wohnungswirtschaftliche Verwendung durch Darlehenstilgung erfordere keine Unmittelbarkeit.
Entscheidung
Die Revision der ZfA war begründet. Das FG-Urteil wurde aufgehoben und die Klage abgewiesen. Auch in der Tilgungsvariante des § 92a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG müsse – so der BFH – das geförderte Altersvorsorgekapital unmittelbar für wohnungswirtschaftliche Zwecke verwendet werden.
Hinweis
Gemäß § 92a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG kann der Zulageberechtigte das in einem Altersvorsorgevertrag gebildete und geförderte Kapital bis zum Beginn der Auszahlungsphase unmittelbar für die Anschaffung oder Herstellung einer Wohnung oder zur Tilgung eines zu diesem Zweck aufgenommenen Darlehens verwenden.
1. Das gesetzliche Unmittelbarkeitserfordernis gilt dabei nicht nur in Fällen der Verwendung geförderten Altersvorsorgekapitals für die Anschaffung oder Herstellung einer Wohnung, sondern auch für die Tilgung eines zur Finanzierung der Anschaffung oder Herstellung aufgenommenen Darlehens.
2. Zwar kann dies weder dem Gesetzeswortlaut zweifelsfrei entnommen werden noch führt eine systematische Auslegung unter Heranziehung anderer Regelungen innerhalb des § 92a EStG oder anderer Vorschriften des EStG zu eindeutigen Ergebnissen. Der Sinn und Zweck der vom Gesetzgeber angeordneten Förderunschädlichkeit der Verwendung von Altersvorsorgekapital für bestimmte Darlehenstilgungen verlangen aber, dass nicht nur in Anschaffungs- und Herstellungsfällen, sondern auch im Fall der Tilgung von Anschaffungs- oder Herstellungsdarlehen das geförderte Kapital "unmittelbar" für den jeweils begünstigten wohnungswirtschaftlichen Zweck verwendet wird.
3. Diese Form der wohnungswirtschaftlichen Verwendung soll es dem Zulageberechtigten ermöglichen, die Zins- und Tilgungskosten der selbst genutzten Wohnimmobilie zu senken und so "mietfrei im Alter zu wohnen". Um dieses Ziel, das die Rechtfertigung der förderunschädlichen vorzeitigen Verwendung des zur Erlangung laufender Altersbezüge gebundenen Kapitals ist, zu erreichen, muss sichergestellt sein, dass das entnehmbare geförderte Altersvorsorgekapital nicht zweckentfremdet verwendet wird. Mitnahmeeffekte sind auszuschließen.
4. Bei der Anschaffungs- oder Herstellungsvariante wird dies durch das im Wortlaut des § 92a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG verankerte Unmittelbarkeitserfordernis gesetzlich sichergestellt. Die Tilgungsvariante ist nach ihrem Normzweck aufs Engste mit den anderen beiden Varianten verknüpft. Denn begünstigt sind nur Tilgungen eines "zu diesem Zweck" – also zum Zweck der Finanzierung der Anschaffung oder Herstellung einer selbstgenutzten Wohnung – aufgenommenen Darlehens.
Daher muss das Unmittelbarkeitserfordernis gleichermaßen für die Tilgungsvariante gelten, da andernfalls eine zweckwidrige Verwendung, insbesondere durch die zwischenzeitliche Möglichkeit der Begleichung allgemeiner Lebenshaltungskosten, möglich wäre.
5. Für Anschaffungs- oder Herstellungsfälle legt die Finanzverwaltung das Unmittelbarkeitserfordernis des § 92a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG dahin gehend aus, dass Verwendungen begünstigt sind, die innerhalb von sechs Monaten vor der Antragstellung bei der Zentralen Zulagenstelle für Altersvermögen (ZfA) und bis zu zwölf Monate nach der Auszahlung des geförderten Altersvorsorgekapitals vorgenommen werden (BMF-Schreiben vom 21.12.2017, Rz. 252, BStBl I 2018, 93).
Ob dieser Zeitraum als zutreffende Auslegung des Gesetzes angesehen werden kann, musste der BFH zwar nicht entscheiden. Es wird aber erkennbar, dass der BFH diese Interpretation der Unmittelbarkeit als sehr, vielleicht sogar zu großzügig ansieht. Daher darf der von der Verwaltung aufgezeigte zeitliche Rahmen auf keinen Fall überschritten werden.
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