Dr. Hendrik Vater, Elena Bail
Die Optimierung des Order-to-Cash-Prozesses bringt aufgrund seiner Komplexität und Ausdehnung über verschiedene Unternehmensbereiche vielfältige Zielkonflikte mit sich. Diese müssen bekannt sein und sollten im Rahmen der Analyse und Optimierung des Forderungsmanagements entsprechend berücksichtigt werden.
Generierter Umsatz vs. profitabler Umsatz
Unter Vertriebsgesichtspunkten stehen Aspekte des Working Capital häufig im Zielkonflikt mit anderen möglichen Vertriebszielen wie Absatzsteigerungen, Produktneueinführungen, Neukundenakquise oder Preiszielen. Aus der Perspektive des Vertriebs wird in der Optimierung der Zahlungsziele daher vielfach kein vorrangiges Ziel gesehen. Da die Kunden für ein geringeres Zahlungsziel i. d. R. eine Gegenleistung verlangen wie z. B. Preisnachlässe, kann es passieren, dass diesem Aspekt nicht genug Aufmerksamkeit gewidmet wird bzw. zu schnell suboptimale Verhandlungsergebnisse akzeptiert werden. Vertriebsseitig kommt es zudem auch immer wieder vor, dass die Vereinbarung von Zahlungszielen bis zum Ende der Verhandlung "offen", d. h. unverhandelt, bleiben. Im Rahmen der finalen Abschlussverhandlung werden dann die Zahlungsziele zu Gunsten eines anderen Verhandlungsziels aufgegeben. Dies kann so weit gehen, dass Zahlungsziele sogar bewusst als Vehikel für versteckte Rabatte missbraucht werden, da die verursachten Kapitalkosten oft nicht im Vertriebsreporting erscheinen. Indes – die besten neuen Kunden oder Zusatzumsätze bringen nichts, wenn letztere später durch extrem lange Zahlungsziele oder Forderungsausfälle "aufgefressen" werden.
Zudem gilt es sicherzustellen, dass der Vertrieb das richtige Verständnis für die Bedeutung der Vereinbarung von Zahlungszielen bzw. des Working Capital Managements hat. Aus Unternehmenssicht sollte der Vertrieb daher in das prozessübergreifende Working Capital Management einbezogen werden. Aus diesem Grund werden in der Unternehmenspraxis mehr und mehr kapitalkostenbezogene Vergütungssysteme (z. B. Economic Value Added) eingesetzt, die dem Vertrieb Anreize zur Berücksichtigung übergeordneter Working Capital-Ziele geben.
Liquiditätssteigerung vs. Kundenzufriedenheit
Ein klassischer Konflikt des Forderungsmanagements ergibt sich in den Fällen, in denen Unternehmen die Zahlungsziele gegenüber ihren Kunden vereinheitlichen möchten. Dies kann dadurch erzielt werden, dass die Zahlungsfrist von 45 auf 30 Tage abgesenkt wird. Auf der einen Seite kann hierdurch zwar kurzfristig eine Liquiditätssteigerung erreicht werden, andererseits kann es aber auch zu Unstimmigkeiten mit den Kunden kommen, die möglicherweise, durch diese Maßnahmen verärgert, zum Wettbewerber "abwandern". Es sollte somit berücksichtigt werden, dass Kundenzufriedenheit und -bindung durch derartige Maßnahmen stark beeinträchtigt werden können, was zur Folge haben kann, dass Erlöse verloren gehen.
Umgekehrt sollte jedoch nicht erlaubt werden, dass Zahlungsbedingungen zu verkaufsentscheidenden Kernkonditionen deklariert werden, da diese Entscheidungsparameter eindeutig Produkt- oder Dienstleistungseigenschaften, Qualität und Lieferzuverlässigkeit sein sollten.