Leitsatz
Hat das FA eine im Jahr 1993 erfolgte Gewinnausschüttung den Einkünften des Anteilseigners aus Land- und Forstwirtschaft zugeordnet und deshalb die entsprechende Einnahme zur Hälfte im ESt-Bescheid 1992 erfasst, so müssen auch die anfallenden Steueranrechnungsbeträge (KSt und KapESt) zur Hälfte auf die ESt 1992 angerechnet werden. Das gilt auch dann, wenn jene Beträge bereits vollen Umfangs auf die ESt 1993 angerechnet worden sind.
Normenkette
§ 36 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 EStG 1990, § 130 Abs. 1 und 2, § 218 Abs. 2 AO
Sachverhalt
Die Kläger sind Eheleute, die für das Streitjahr 1992 zusammen zur ESt veranlagt wurden. Der Kläger ist Landwirt und ermittelte seinen Gewinn gem. § 4 Abs. 1 EStG 1990 durch Vermögensvergleich. Zum Betriebsvermögen seines landwirtschaftlichen Betriebs mit abweichendem Wirtschaftsjahr zum 30.06. gehörte eine Beteiligung an einer GmbH. Die GmbH bescheinigte dem Kläger zunächst Ausschüttungen i.H.v. rd. 115 000 DM, die im Mai 1992 ausgezahlt wurden. Diese Ausschüttungen wurden im ursprünglichen ESt-Bescheid für das Streitjahr als Einkünfte aus Kapitalvermögen erfasst. Die von der GmbH bescheinigten anrechenbaren Beträge wurden auf die ESt angerechnet.
Das FA rechnete die Ausschüttungen den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft zu. Daraufhin erging ein geänderter ESt-Bescheid für das Streitjahr 1992, in dem alle im Wirtschaftsjahr 1991/92 erfolgten Ausschüttungen jeweils zur Hälfte als Einnahmen aus Land- und Forstwirtschaft erfasst waren. Die anrechenbaren Steuern (KSt, SolZ, KapESt) wurden ebenfalls nur zur Hälfte auf die ESt des Streitjahrs angerechnet.
Im Wirtschaftsjahr 1992/93 hatte der Kläger erneut Ausschüttungen der GmbH erhalten. Auch diese wurden den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft zugeordnet und zur Hälfte in einem geänderten ESt-Bescheid für das Streitjahr 1992 berücksichtigt. Die andere Hälfte der Ausschüttungen erfasste das FA im ESt-Bescheid 1993; die auf die Ausschüttungen im Wirtschaftsjahr 1992/93 entfallenden Anrechnungsbeträge rechnete es jedoch in voller Höhe auf die ESt 1993 an.
Die Kläger beantragten zunächst, die anrechenbaren Steuern aus dem Wirtschaftsjahr 1991/92 in vollem Umfang auf die ESt des Streitjahrs 1992 anzurechnen. Das FA erließ daraufhin einen ablehnenden Abrechnungsbescheid gem. § 218 Abs. 2 AO. Die Kläger fochten diesen Bescheid an und beantragten nunmehr, die auf das Wirtschaftsjahr 1992/93 entfallenden anrechenbaren Steuern zur Hälfte auf die ESt des Streitjahrs anzurechnen.
Das FG gab dem statt (EFG 2006, 171).
Entscheidung
Der BFH sah das wie das FG:
Zwar könnten die Kläger dadurch eine Doppelanrechnung in den Jahren 1992 und 1993 verbuchen. Aber das sei nun einmal hinzunehmen. Denn dadurch, dass die betreffenden Gewinne hälftig in beiden Jahren erfasst worden seien, könnten die Kläger auch die entsprechenden Anrechnungen beanspruchen. Die Anrechnungsverfügung, die dem Ursprungsbescheid für 1992 beigefügt worden sei, sei so gesehen rechtswidrig und gem. § 130 Abs. 1 AO zu ändern; eine „schädliche” Bindungswirkung ergebe sich aus dieser Verfügung nicht.
Hinweis
Ein etwas verwirrender Sachverhalt um die Anrechnung von KSt und KapESt gem. § 36 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 EStG a.F., dem keine besondere Breitenwirkung zukommt und der nur einen Einzelfall betrifft.
1. Es lässt sich aber als Extrakt herauskristallisieren:
- Sowohl die KSt als auch die KapESt können nur insoweit auf die ESt angerechnet werden, als sie auf die bei der Veranlagung erfassten Einkünfte entfallen. Daraus folgt in zeitlicher Hinsicht, dass die Anrechnung auf die Steuer desjenigen VZ bezogen werden muss, in dem die entsprechenden Einkünfte im Steuerbescheid angesetzt worden sind.
- Werden hiernach Steuern nur teilweise angerechnet, obschon die betreffenden Einnahmen voll einbezogen werden, rechtfertigt das zum einen in materieller Hinsicht die Vollanrechnung und zum anderen in formeller Hinsicht die Rücknahme oder Änderung einer vorgängigen und insoweit fehlerhaften (bestandskräftigen) Anrechnungsverfügung gem. § 130 Abs. 1 AO. Letzteres gilt auch dann, wenn es dadurch im Ergebnis zu Doppelanrechnungen der nämlichen Steuerbeträge in verschiedenen VZ kommt, weil das FA insoweit nicht „aufgepasst” hat. Auf Treu und Glauben oder andere „Moralaspekte” kann das FA sich dann nicht berufen.
2. Nach wie vor unbeantwortet bleibt die innerhalb des BFH bestehende „alte” (und vielleicht niemals mehr geklärte) Streitfrage, ob die Bindungswirkung einer vorgängigen Anrechnungsverfügung auf einen nachfolgenden Abrechnungsbescheid gem. § 218 Abs. 2 AO „durchschlägt” (so der VII. Senat des BFH) oder nicht (so der I. Senat des BFH). Dazu ist auf das BFH-Urteil vom 26.06.2007, VII R 35/06 und die Praxis-Hinweise von Rüsken in BFH-PR 2007, 381 zu verweisen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 18.09.2007, I R 54/06