Zeitliche Zuordnung eines Umsatzes bei Dauersachverhalten

Versteuert der Unternehmer entgegen § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 1 und 4 UStG seine Umsätze nicht bereits für den Voranmeldungszeitraum der Leistungserbringung, sondern erst für den der nachfolgenden Entgeltvereinnahmung, kann er die Rechtswidrigkeit der für den Besteuerungszeitraum der Entgeltvereinnahmung vorliegenden Steuerfestsetzung geltend machen, ohne dass dem eine Analogie zu § 20 Satz 3 UStG entgegensteht.

Hintergrund: Gesetzliche Regelung

Nach § 16 Abs. 1 UStG ist die Steuer, soweit nicht § 20 UStG gilt, nach vereinbarten Entgelten zu berechnen (sog. Sollbesteuerung). Gem. § 20 Abs. 1 UStG kann das Finanzamt unter weiteren Voraussetzungen auf Antrag gestatten, dass ein Unternehmer die Steuer nicht nach den vereinbarten Entgelten, sondern nach den vereinnahmten Entgelten berechnet (sog. Istbesteuerung). Wechselt der Unternehmer die Art der Steuerberechnung, so dürfen Umsätze nicht doppelt erfasst werden oder unversteuert bleiben (§ 20 Satz 3 UStG).

Sachverhalt: Änderungen der zeitlichen Zuordnung eines Umsatzes

Fraglich war im Urteilsfall, ob bei Änderungen der zeitlichen Zuordnung eines Umsatzes eine gesetzliche Regelungslücke anzunehmen ist, die die analoge Anwendung des § 20 Satz 3 UStG rechtfertigt? Der zu beurteilende Sachverhalt verhielt sich folgendermaßen:

  • Die Klägerin führte in ihrer Werkstatt Reparaturen an Fahrzeugen des Herstellers X durch, die dieser – nach Ausführung der Reparatur – im Rahmen von "Gewährleistungen" vergütete.
  • Die Klägerin, die ihre Steuer nach vereinbarten Entgelten berechnete, verbuchte ihre Ansprüche gegen X auf "Vergütungskonten". Der Saldo auf diesem "Vergütungskonto" belief sich am Ende des Jahres 2012 auf 32.518,58 EUR. Von der Klägerin wurden die hierfür erbrachten Leistungen nicht bereits in 2012 versteuert, sondern erst mit der Vereinnahmung in 2013 (Streitjahr).
  • Zum Ablauf des Streitjahrs ergab sich ein Vergütungssaldo von 102.642,67 EUR, wobei die Klägerin die hierfür erbrachten Leistungen wiederum nicht im Streitjahr, sondern erst mit der Vereinnahmung in 2014 versteuerte.

Im Anschluss an eine Außenprüfung erhöhte das Finanzamt u.a. die Bemessungsgrundlage der Umsatzsteuerfestsetzung 2013 um den Vergütungssaldo 2013 i.H.v. 102.642,67 EUR.

Die Klägerin beantragte unter Bezugnahme auf § 177 Abs. 1 AO, die Festsetzung zu ändern und die Bemessungsgrundlage um den seinerzeit im Rahmen der Umsatzsteuererklärung 2013 erklärten und noch in dem Änderungsbescheid 2013 enthaltenen Vergütungssaldo 2012 in Höhe von 32.518,58 EUR zu mindern. Diesen Antrag lehnte das FA ab und wies den hiergegen eingelegten Einspruch zurück.

Auch die Klage beim Finanzgericht (FG) hatte keinen Erfolg. Nach dem Urteil des FG steht der Klägerin kein Anspruch auf Minderung der für das Streitjahr festgesetzten Steuer um die sich aus dem Vergütungssaldo 2012 ergebende Steuer zu. Da die Klägerin durch die jahrelange faktische Inanspruchnahme der Istbesteuerung Liquiditätsvorteile erlangt habe, sei sie so zu behandeln, als sei ihr die Istbesteuerung bewilligt worden. Bei der Rückabwicklung der faktischen Istbesteuerung sei so zu verfahren wie beim Wechsel von der Ist- zur Sollbesteuerung, für den § 20 Satz 3 UStG verlange, dass kein Umsatz unversteuert bleiben dürfe.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision.

Entscheidung: BFH gibt der Klägerin Recht und hebt das Urteil der Vorinstanz auf

Die Revision der Klägerin ist begründet. Der BFH hat das Urteil des FG aufgehoben und der Klage stattgegeben.

Versteuert der Unternehmer entgegen § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 1 und 4 UStG seine Umsätze nicht bereits für den Voranmeldungszeitraum der Leistungserbringung, sondern erst für den der nachfolgenden Entgeltvereinnahmung, kann er die Rechtswidrigkeit der für den Besteuerungszeitraum der Entgeltvereinnahmung vorliegenden Steuerfestsetzung geltend machen, ohne dass dem – im Hinblick auf eine für den Besteuerungszeitraum der Leistungserbringung angenommene Festsetzungsverjährung – eine Analogie zu § 20 Satz 3 UStG entgegensteht.

Keine Abweichung aufgrund fehlender Gesetzeslücke

Von der sich aus § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 1 und 4 UStG ergebenden Rechtslage kann im Rahmen einer Analogie zu § 20 Satz 3 UStG, wonach bei einem Wechsel der Art der Steuerberechnung Umsätze nicht doppelt erfasst werden oder unversteuert bleiben dürfen, nicht abgewichen werden.

Die analoge Anwendung einer Rechtsnorm setzt eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit voraus. Zudem müssen der vom Gesetzgeber geregelte und der nicht geregelte Fall durch eine vergleichbare Interessenlage gekennzeichnet sein. Eine analoge Anwendung einer Vorschrift kommt nur in Frage, wenn die für einen bestimmten Sachverhalt vorgesehene gesetzliche Regelung auf einen anderen, vom Gesetz nicht erfassten, aber nur unwesentlich abweichenden Sachverhalt anwendbar ist.

Im Streitfall kommt eine Analogie nicht in Betracht.

Es fehlt bereits an einer für eine Analogie erforderlichen Regelungslücke.

  • Die Korrektur einer im Widerspruch zu § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG stehenden zeitlichen Zuordnung von Umsätzen erfolgt auf der Grundlage der Änderungsvorschriften der § 164 Abs. 2, § 172 ff. AO unter den darin niedergelegten Voraussetzungen.
  • Dabei ist der hier vorliegende Fall, dass aus einem Antrag des Steuerpflichtigen Folgerungen für andere Besteuerungszeiträume zu ziehen sind, insbesondere durch § 174 Abs. 4 AO geregelt.
  • Damit liegt eine gesetzliche Regelung für die hier zu beurteilende Fallgestaltung vor. Denn im Streitfall hat das FA aufgrund einer rechtsirrigen Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts (Besteuerung der bereits in 2012 ausgeführten Leistungen erst bei Vereinnahmung des Entgelts im Streitjahr) den hier streitgegenständlichen Steuerbescheid erlassen, der aufgrund des von der Klägerin gestellten Antrags zu ihren Gunsten geändert werden soll (keine Besteuerung der in 2012 ausgeführten Leistungen im Streitjahr). Daher können aus dem Sachverhalt nachträglich durch Änderung eines Steuerbescheids für 2012 die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden, wobei dies unter den in § 174 Abs. 4 Satz 3 und 4 AO genannten Voraussetzungen selbst dann möglich ist, wenn die Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer 2012 bereits abgelaufen sein sollte.
  • Die Annahme einer Regelungslücke kann auch nicht damit begründet werden, dass eine Korrektur im Einzelfall an einer bereits eingetretenen Festsetzungsverjährung scheitert. Ist Festsetzungsverjährung eingetreten, führt selbst der Grundsatz von Treu und Glauben nicht dazu, dass ein erloschener Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis wieder entsteht.

Keine vergleichbare Interessenlage

Zudem fehlt es auch am Erfordernis einer vergleichbaren Interessenlage. Denn § 20 Satz 3 UStG bezieht sich auf einen rechtlichen Wechsel der Besteuerungsart von der Soll- zur Istbesteuerung oder umgekehrt. Damit nicht vergleichbar ist der Fall, dass der Unternehmer einzelne seiner Umsätze nicht bereits für den Voranmeldungszeitraum der Leistungsausführung, sondern rechtsfehlerhaft erst für den der nachfolgenden Entgeltvereinnahmung versteuert.

Anspruch auf beantragte Änderung

Die Klägerin hat einen Anspruch auf die beantragte Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung 2013 gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Halbsatz 1 Alt. 2 AO, wonach ein Steuerbescheid, soweit er nicht vorläufig oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen ist, nur aufgehoben oder geändert werden darf, soweit dem Antrag des Steuerpflichtigen der Sache nach entsprochen wird.

Die Klägerin hat ihren Antrag innerhalb der Einspruchs- und auch der Festsetzungsfrist zulässig gestellt.

Das im Antragsschreiben formulierte Begehren ist ungeachtet der Nennung von § 177 Abs. 1 AO als "schlichter" Änderungsantrag gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO zu verstehen (§ 177 AO ist keine eigenständige Anspruchsgrundlage), mit dem die Klägerin die Reduzierung der Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuerfestsetzung 2013 um den Vergütungssaldo 2012 begehrte.

Der Antrag ist begründet, da der Umsatzsteuer-Jahresbescheid 2013 rechtswidrig ist, soweit er den Vergütungssaldo 2012 in die Bemessungsgrundlage einbezieht, da die Umsatzsteuer hierauf gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 1 UStG bereits mit Ausführung der Leistungen im Jahr 2012 entstand. Die Korrektur dieses Zeitpunkts der Steuerentstehung durch eine analoge Anwendung von § 20 Satz 3 UStG oder der vom FA gegen das Änderungsbegehren erhobene Einwand der Treuwidrigkeit kommt nicht in Betracht.

BFH, Urteil v. 29.8.2024, V R 19/22; veröffentlicht am 21.11.2024

Alle am 21.11.2024 veröffentlichten Entscheidungen des BFH mit Kurzkommentierungen


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