Grunderwerbsteuer beim Erwerb von Gesellschaftsanteilen durch einen Treuhänder

Hintergrund: Gesetzliche Regelung
Gehört zum Vermögen einer Gesellschaft ein inländisches Grundstück, unterliegt nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG der Steuer ein Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übertragung eines oder mehrerer Anteile der Gesellschaft begründet, wenn durch die Übertragung unmittelbar oder mittelbar mindestens 95 % (heute 90 %) der Anteile der Gesellschaft in der Hand des Erwerbers vereinigt werden würden. Der Tatbestand erfasst die infolge der Vereinigung der Anteile der grundbesitzenden Gesellschaft in einer Hand spezifisch grunderwerbsteuerrechtlich veränderte Zuordnung von Grundstücken.
Rechtsfrage
Ist der grunderwerbsteuerliche Tatbestand i. S. v. § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG für den Mitgesellschafter erfüllt, wenn er als Treuhänder fungiert, um unter Finanzierungsgesichtspunkten die betreffenden Anteile für den Treugeber zu halten?
Sachverhalt: Geschäftsanteile erwerbende Mitgesellschafterin mit Treuhandvertrag zum Erwerb beauftragt
- Der Kläger ist Insolvenzverwalter einer GmbH (Insolvenzschuldnerin).
- Mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom 15.11.2018 erwarb die am 12.11.2018 gegründete A GmbH, deren Gründungsgesellschafter zu je einem Drittel die Insolvenzschuldnerin, die B GmbH und die C GmbH waren, ein Grundstück. Der Kaufpreis sollte frühestens am 29.3.2019 fällig sein.
- Das zuständige Finanzamt (A) setzte mit Bescheid vom 12.12.2018 gegenüber der A GmbH für den Erwerb des Grundbesitzes Grunderwerbsteuer fest.
- Die B GmbH und die C GmbH veräußerten mit notariell beurkundetem Gesellschaftsanteilskauf- und Abtretungsvertrag vom 12.4.2019 ihre Geschäftsanteile an der A GmbH an die Insolvenzschuldnerin. Zu diesem Zeitpunkt war der Kaufpreis für das Grundstück noch nicht gezahlt und die A GmbH noch nicht als Eigentümerin des Grundstücks im Grundbuch eingetragen.
- Wenige Tage vor dem Anteilskauf hatte die Insolvenzschuldnerin mit der X GmbH einen Treuhandauftrag und Darlehensvertrag zur Finanzierung des Kaufpreises geschlossen. Darin erteilte die X GmbH der Insolvenzschuldnerin den Auftrag, die Anteile der B GmbH und der C GmbH an der A GmbH im eigenen Namen, aber auf Rechnung für die X GmbH zu erwerben. Die X GmbH war nach dem Vertrag berechtigt, Ansprüche in beliebiger Höhe aus diesem Treuhandauftrag an einen Immobilienfonds abzutreten.
Das FA setzte aufgrund des Vertrags vom 12.4.2019 wegen einer Anteilsvereinigung nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrStG mit Bescheid vom 7.7.2020 gegenüber der Insolvenzschuldnerin Grunderwerbsteuer fest. Die Bemessungsgrundlage schätzte das FA vorläufig und wies darauf hin, dass als Bemessungsgrundlage der gesondert festzustellende Grundbesitzwert nach § 8 Abs. 2 GrEStG maßgebend sei. Gegen den Bescheid wandte sich die Insolvenzschuldnerin mit dem Einspruch, den das FA mit Einspruchsentscheidung vom 23.11.2020 als unbegründet zurückwies. Das FG wies die dagegen erhobene Klage ab.
Insolvenzverwalter nimmt von der Insolvenzschuldnerin eingelegte Revision auf
Dagegen richtete sich die ursprünglich von der Insolvenzschuldnerin erhobene Revision. Im Laufe des Revisionsverfahrens wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestimmt. Der Kläger hat als Insolvenzverwalter der zur Tabelle angemeldeten Grunderwerbsteuerforderung widersprochen und das Revisionsverfahren aufgenommen. Er vertritt die Auffassung, die angemeldete Grunderwerbsteuerforderung sei unberechtigt, da der Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG nicht erfüllt sei. Die von der Insolvenzschuldnerin treuhänderisch gehaltenen Anteile seien für steuerliche Zwecke dem Treugeber, der X GmbH, zuzurechnen.
Kläger war zur Aufnahme des unterbrochenen Rechtsstreits berechtigt
Macht das Finanzamt einen festgesetzten, aber noch nicht erfüllten Steuer- oder Haftungsanspruch als Insolvenzforderung geltend und hat der Insolvenzverwalter im Prüfungstermin der angemeldeten Forderung widersprochen, ergibt sich die Befugnis zur Aufnahme des zunächst unterbrochenen Rechtsstreits durch den Insolvenzverwalter aus § 87 i. V. m. § 179 Abs. 2, § 180 Abs. 2 InsO. Streitgegenstand ist nicht (mehr) die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheids, sondern die Feststellung, ob die zur Tabelle angemeldete Forderung dem Grunde und der Höhe nach begründet und der Widerspruch dagegen berechtigt ist. Dabei handelt es sich um eine zulässige, weil sachdienliche Klageänderung (§ 67 FGO).
Entscheidung: Treuhänder kann den Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG erfüllen
Der BFH entscheidet, dass die Feststellungsklage unbegründet ist, weil die zur Insolvenztabelle angemeldete Grunderwerbsteuerforderung dem Grunde und der Höhe nach berechtigt ist. Die Insolvenzschuldnerin hat durch den Erwerb der Anteile im Auftrag der X GmbH die Anteile an der A GmbH i. S. d. § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG unmittelbar in ihrer Hand vereinigt.
Anteilsvereinigung i. S. d. § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG
Die Anteilsvereinigung i. S. d. § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG kann dadurch erfolgen, dass sich die Anteile in der Hand des Erwerbers teils unmittelbar und teils mittelbar vereinigen. Der Erwerber erwirbt einen Anteil an der grundbesitzenden Gesellschaft unmittelbar, wenn er zivilrechtlich Gesellschafter dieser Gesellschaft. Dies gilt auch für einen Treuhänder, der die sich in seiner Hand vereinigenden Anteile der grundbesitzenden Gesellschaft für Rechnung seines Auftraggebers (Treugeber) erwirbt (Erwerbstreuhand). Er kann Erwerber i. S. d. § 1 Abs. 3 GrEStG sein. Der Treuhänder ist dann unmittelbarer und der Treugeber mittelbarer Gesellschafter
Beim Grundstückserwerb nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG ist allein maßgeblich, wer zivilrechtlich den Anspruch auf Übereignung des Grundstücks erwirbt. Die wirtschaftliche Betrachtungsweise des § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO findet in der Grunderwerbsteuer grundsätzlich keine Anwendung. Der Treuhänder erwirbt zivilrechtlich einen Anspruch auf Übereignung des Grundstücks und spätestens durch die Auflassung das Eigentum am Grundstück. Bei einer sog. Erwerbstreuhand ist mit dem Erwerb des Grundstücks zugleich(beim Treuhänder) der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG und (beim Treugeber) der des § 1 Abs. 2 GrEStG erfüllt.
Dasselbe gilt beim (unmittelbaren) Anteilserwerb nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG. Maßgeblich ist nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift, ob der Erwerber zivilrechtlich den Anspruch auf Übertragung der Anteile an der grundbesitzenden Gesellschaft erwirbt. Vereinigen sich dadurch in der Hand des Erwerbers die Anteile an der grundbesitzenden Gesellschaft, wird dieser so behandelt, als habe er die Grundstücke der Gesellschaft erworben.
Nach diesen Grundsätzen haben sich in der Hand der Insolvenzschuldnerin als Treuhänderin der X GmbH durch den Geschäftsanteils- und Abtretungsvertrag vom 12.4.2019 nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG 100 % der Anteile der A GmbH vereinigt.
Grundstück der A GmbH auch zuzurechnen
Ob ein Grundstück i. S. d. § 1 Abs. 3 GrEStG zum Vermögen der Gesellschaft „gehört“, richtet sich weder nach dem Zivilrecht noch nach § 39 AO. Maßgebend ist vielmehr die grunderwerbsteuerrechtliche Zurechnung.
- Ein inländisches Grundstück ist einer Gesellschaft im Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld für den nach § 1 Abs. 3 GrEStG der Grunderwerbsteuer unterliegenden Rechtsvorgang zuzurechnen, wenn sie zuvor in Bezug auf dieses Grundstück einen unter § 1 Abs. 1 GrEStG (und die Verwertungsbefugnis einschließenden) oder einen unter § 1 Abs. 2 GrEStG fallenden Erwerbsvorgang verwirklicht hat.
- Die A GmbH hatte mit Kaufvertrag vom 15.11.2018 ein inländisches Grundstück erworben. Der Grundstückskaufvertrag stand nicht unter einer aufschiebenden Bedingung. Zugunsten der A GmbH ist ein zivilrechtlich wirksamer und durchsetzbarer Anspruch auf Übereignung des Grundstücks begründet worden. Dieses Rechtsgeschäft unterliegt nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG der Grunderwerbsteuer. Ab Abschluss des Kaufvertrags war das Grundstück der A GmbH grunderwerbsteuerrechtlich zuzurechnen.
- Der Umstand, dass die Zahlung des Kaufpreises zu diesem Zeitpunkt nicht gesichert war und der A GmbH und der Verkäuferin möglicherweise ein Rücktrittsrecht zustand, ändert nichts an der Tatbestandsverwirklichung.
Anmeldung zur Tabelle der Höhe nach berechtigt
Nach § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GrEStG ist in den Fällen des § 1 Abs. 3 GrEStG die Steuer nach den gesondert festzustellenden Grundbesitzwerten i. S. d. § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. § 157 Abs. 1 bis 3 BewG zu bemessen. Die Insolvenzschuldnerin hatte – von ihrem Standpunkt zunächst zu Recht – keine Erklärung zu den Grundbesitzwerten eingereicht und auch keine konkreten Angaben zu den ihrer Auffassung nach anzusetzenden Werten gemacht. Das FA hat die Höhe der Grundbesitzwerte geschätzt. Weder die Insolvenzschuldnerin noch der Kläger sind der Schätzung inhaltlich entgegengetreten.
Das Verfahren war nicht nach § 74 FGO zur Durchführung eines gesonderten Wertfeststellungsverfahrens auszusetzen. Nach § 74 FGO kann das Gericht die Entscheidung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits aussetzen. Die Entscheidung steht grundsätzlich im Ermessen des Gerichts. Die Aussetzung eines gegen einen Folgebescheid gerichteten Klageverfahrens ist regelmäßig geboten und zweckmäßig, wenn in ihm Besteuerungsgrundlagen streitig sind, über die in einem besonderen Grundlagenbescheid zu entscheiden ist. Ausnahmsweise kann jedoch im Einzelfall trotz ausstehender Entscheidung über einen Grundlagenbescheid eine Fortführung des Verfahrens ermessensgerecht sein.
Es kann dahinstehen, ob der Streitfall überhaupt von § 74 FGO erfasst ist, da nach der Klageänderung nicht mehr die Rechtmäßigkeit des ursprünglich angefochtenen Folgebescheids streitig ist, sondern die Feststellung begehrt wird, dass die zur Insolvenztabelle angemeldete Forderung dem Grund und der Höhe nach unberechtigt und der Widerspruch dagegen berechtigt ist. Es bestehen bereits Bedenken, ob ein gesondertes Wertfeststellungsverfahren insoweit überhaupt vorgreiflich wäre. In jedem Fall ist es jedoch aus prozessökonomischen Gründen ermessensgerecht, das Verfahren nicht nach § 74 FGO auszusetzen, da die Höhe der Bemessungsgrundlage nicht substantiiert bestritten wurde und weder die Insolvenzschuldnerin noch der Kläger bislang eine Feststellungserklärung abgegeben haben. Im Rahmen eines gesonderten Feststellungsverfahrens wäre das zuständige Finanzamt dann wiederum gehalten, den Wert – ggf. in der bisherigen Höhe – zu schätzen.
BFH, Urteil v. 20.11.2024, II R 29/21; veröffentlicht am 3.4.2025
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