Leitsatz
Eine Rückstellung für hinterzogene Mehrsteuern kann erst zu dem Bilanzstichtag gebildet werden, zu dem der Steuerpflichtige mit der Aufdeckung der Steuerhinterziehung rechnen musste.
Normenkette
§ 5 Abs. 1 EStG, § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB
Sachverhalt
Der Kläger betreibt eine Pizzeria; er ermittelt seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich. Im Jahr 2005 fand bei ihm eine Außenprüfung für die Jahre 2001 bis 2003 statt. Nachdem der Prüfer sehr niedrige Rohgewinnaufschlagsätze, Kalkulationsdifferenzen sowie Fehlbeträge in einer Geldverkehrsrechnung festgestellt hatte, wurde im Mai 2005 ein Steuerstrafverfahren gegen den Kläger eingeleitet. Die Fahndungsprüfung wurde durch eine tatsächliche Verständigung im Jahr 2008 abgeschlossen. Das FA bildete für die aufgrund der Verständigung zusätzlich anfallenden Steuern eine Rückstellung zulasten des Gewinns des Jahres 2005 und nicht – wie vom Kläger beantragt – zulasten des Gewinns der Jahre 2001 und 2003.
Das FG gab der Klage statt (Urteil des FG Nürnberg vom 16.6.2010, 5 K 687/2009, Haufe-Index 2388654, EFG 2010, 1987). Es vertrat die Auffassung, die höchstrichterliche Rechtsprechung, wonach Mehrsteuern, die aufgrund einer Fahndungsprüfung festgesetzt werden, erst in dem Zeitpunkt passiviert werden dürften, zu dem der Steuerpflichtige mit der Aufdeckung der Hinterziehung habe rechnen müssen, könne nicht überzeugen. Gerade die Bilanz eines Steuerpflichtigen, der mit Hinterziehungsabsicht handele, sei von Anfang an subjektiv unrichtig und müsse daher im Zeitpunkt des Fehlerursprungs berichtigt werden.
Entscheidung
Die Revision des FA war begründet. Nach Auffassung des BFH konnte der Kläger zu den streitgegenständlichen Bilanzstichtagen noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit von seiner Inanspruchnahme hinsichtlich der erst im Jahr 2008 festgesetzten Mehrsteuern ausgehen.
Hinweis
1. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung dürfen Rückstellungen wegen zivilrechtlicher Schadenersatzverpflichtungen und öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen erst gebildet werden, wenn der Inhaber des gegen den Steuerpflichtigen gerichteten Anspruchs von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis hat oder eine solche Kenntniserlangung unmittelbar bevorsteht, sodass eine Inanspruchnahme wahrscheinlich ist.
Zwar entsteht bei Verpflichtungen, die aus Straftaten resultieren, die Verbindlichkeit nach den maßgebenden zivil- oder öffentlich-rechtlichen Grundsätzen bereits mit Begehung der Tat. Solange der Steuerpflichtige aber davon ausgehen kann, dass die Tat unentdeckt bleibt, stellt die Verbindlichkeit für ihn nach der BFH-Rechtsprechung keine wirtschaftliche Belastung dar, da es an der hinreichenden Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme fehlt. Ob eine Inanspruchnahme aus der ungewissen Verbindlichkeit zu erwarten ist, richtet sich nach den Verhältnissen des jeweiligen Bilanzstichtags unter Berücksichtigung der bis zur Bilanzaufstellung bekannt werdenden wertaufhellenden Umstände.
2. Daraus folgt, dass Rückstellungen für die drohende Inanspruchnahme des Steuerpflichtigen aus von ihm hinterzogenen Steuern für Bilanzstichtage, die vor dem Zeitpunkt liegen, zu dem die Aufdeckung der Tat unmittelbar bevorsteht, nicht gebildet werden darf. Es reicht weder aus, dass der Steuerpflichtige selbst von der Steuerhinterziehung Kenntnis hat noch dass nach allgemeiner Erfahrung im Anschluss an Außen- und Fahndungsprüfungen häufig mit der Festsetzung von Mehrsteuern zu rechnen ist. Eine Rückstellung ist vielmehr erst zu dem Bilanzstichtag zu bilden, zu dem der Steuerpflichtige aufgrund eines hinreichend konkreten Sachverhalts ernsthaft mit einer quantifizierbaren Steuernachforderung rechnen muss, also frühestens dann, wenn der Prüfer eine bestimmte Sachbehandlung beanstandet hat.
3. Diese Behandlung der Rückstellungsbildung von Mehrsteuern aufgrund einer Steuerhinterziehung/-verkürzung (wie im Streitfall) dürfte unstreitig sein. Demgegenüber ist die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Frage des Zeitpunkts der Berücksichtigung von Mehrsteuern infolge einer Außenprüfung uneinheitlich: Zu einer Berücksichtigung erst im Jahr der Kenntnis des Steuerpflichtigen von den Mehrsteuern scheint der I. Senat im Urteil vom 16.12.2009 (I R 43/08, BFHE 227, 469, unter II.2.b) zu tendieren; für eine Passivierung zulasten des Jahres der Steuerentstehung der III. Senat im Urteil vom 15.3.2012, III R 96/07, DStR 2012, 1495). Mangels Entscheidungserheblichkeit konnte der X. Senat diese Frage offenlassen.
4. Da die ursprünglich aufgestellten Bilanzen hinsichtlich des Fehlens der Rückstellungen für die hinterzogenen Steuern richtig waren, scheidet eine Bilanzberichtigung aus, die gem. § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG einen Verstoß gegen die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung oder Vorschriften des EStG zur Voraussetzung hat.
5. Auch eine Bilanzänderung (§ 4 Abs. 2 Satz 2 EStG) kommt nicht in Betracht, weil in Bezug auf den Zeitpunkt der Passivierung hinterzogener Steuern kein Bilanzierungswahlrecht besteht.
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