Leitsatz
1. Ob bestimmte Einkünfte den Regeln über die unbeschränkte Steuerpflicht unterliegen, ist nach den Verhältnissen im Zeitpunkt des Erzielens der Einkünfte zu beurteilen.
2. § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG ist wörtlich und nicht teleologisch reduziert auszulegen.
3. § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG ist nicht verfassungswidrig.
4. § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG verstößt gegen kein "Gebot der inneren Sachgesetzlichkeit".
5. Die Anwendung von § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG setzt abkommensrechtlich lediglich voraus, dass das einschlägige DBA die Berücksichtigung eines Progressionsvorbehalts nicht verbietet (Änderung der Rechtsprechung).
Normenkette
§ 1 Abs. 1 EStG , § 2 Abs. 7 Satz 3 EStG , § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG , § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG , Art. 4 DBA-USA , Art. 15 DBA-USA , Art 23 Abs. 2 Buchst. a Satz 2 DBA-USA , Art. 3 Abs. 1 GG
Sachverhalt
Der Kläger war im Inland unbeschränkt steuerpflichtig und bezog hier Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. Mit Wirkung zum 31.3.1997 wurde er in die USA versetzt; bereits am 8.3.1997 zog er nach dorthin um. Er hoffte nun, dass sich lediglich jene Einkunftsbestandteile im Rahmen der inländischen unbeschränkten Steuerpflicht auswirkten, die er bis zum 8.3. vereinnahmt hatte. Jener Arbeitslohn, der auf die Zeit danach entfiel, sei weder in die Bemessungsgrundlage der deutschen ESt noch in die Bemessungsgrundlage des anzuwendenden Steuersatzes einzubeziehen.
Das FA war anderer Meinung und unterwarf die in den USA erzielten Einkünfte dem Progressionsvorbehalt gem. § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG.
Entscheidung
Abweichend vom FG gab der BFH dem FA Recht.
1. Es sei zunächst zu unterscheiden: Bis zum 8.3.1997 sei der Kläger unbeschränkt steuerpflichtig gewesen. Bis dahin gelte das Welteinkommensprinzip: Alles, was ihm in dieser Zeit zufließe, sei zunächst einmal steuerlich zu erfassen. Vom 9.3.1997 an sei er zwar (ggf.) nur noch beschränkt steuerpflichtig gewesen. Ob dies der Fall sei, bestimme sich indes nicht nach dem Zufluss-, sondern nach dem Veranlassungsprinzip: Bei wirtschaftlichem Zusammenhang mit der inländischen Tätigkeit, seien die fraglichen Beträge als Nachzahlungen der unbeschränkten Steuerpflicht zu unterwerfen. Das Abkommensrecht (hier das DBA-USA) stehe dem nicht entgegen; es fehle dann an Zahlungen eines ausländischen Arbeitgebers.
2. Unabhängig davon: Auch jene Beträge, die nach dem 8.3.1997 für den Einsatz in den USA – und damit außerhalb jeglicher Steuerpflicht im Inland – gezahlt worden seien, "gehörten" zur Bemessungsgrundlage für die Errechnung des Steuersatzes; sie seien sehr wohl dem Progressionsvorbehalt zu unterwerfen. Das ergebe sich unmißssverständlich aus dem Regelungswortlaut in § 32b Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 2 Abs. 7 Satz 3 EStG ("einschließlich"). Abkommensrecht stehe dem nur dann entgegen, wenn es die Einbeziehung explizit verbiete, was beim DBA-USA nicht der Fall sei. Einer abkommensrechtlichen besonderen Gestattung und Erlaubnis bedürfe es – entgegen früherer Rechtsprechung – nicht. Die Einbeziehung sei auch sinn- und systemgerecht, weil sie dem Leistungsfähigkeitsprinzip entspreche. Ein Gleichheitsverstoß scheide gleichermaßen aus.
Hinweis
Die Essenz des Urteils liegt in zwei Erkenntnissen des BFH.
1. Es legt klipp und klar fest, dass bei der unbeschränkten Steuerpflicht die Verhältnisse im Zuflusszeitpunkt darüber entscheiden, ob bestimmte Einkünfte in die Besteuerung einzubeziehen sind. Dann gilt das Welteinkommensprinzip. Bei der beschränkten Steuerpflicht ist dies anders: Hier kommt es auf die wirtschaftliche Veranlassung der Einkünfte mit den in § 49 EStG aufgeführten Tätigkeiten an.
2. Das bedeutet:
- Erzielt der im Inland ansässige Arbeitnehmer Einkünfte aus einer Tätigkeit im In- und im Ausland, so unterfallen diese Einkünfte insgesamt der unbeschränkten Steuerpflicht. Das ändert sich aber, wenn er ins Ausland umzieht; dann ist er nur noch beschränkt steuerpflichtig. (Allein) der Zuflusszeitpunkt entscheidet – und dieser belässt damit zugleich gewisse Gestaltungsmöglichkeiten, den Umfang der inländischen Steuerpflicht zu "kalkulieren".
- Zahlungen, die erst im Ausland zufließen, nachdem der Steuerpflichtige seinen Wohnsitz verlegt hat, sind im Inland gemeinhin steuerfrei. Auch sie können aber (hier: gem. § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG) beschränkt steuerpflichtig sein, vorausgesetzt, sie stehen mit den (früheren) Tätigkeiten im Inland in wirtschaftlichem Zusammenhang. Solche Nachzahlungen sind zu erfassen. Das ist letztlich eine Folge der objektsteuerartigen Ausgestaltung der beschränkten Steuerpflicht, die zu einem abweichenden Zeitbezug gegenüber der unbeschränkten "allumfassenden" Steuerpflicht führt. Eine zeitliche Kongruenz ist nicht erforderlich.
3. Aber auch Einkünfte, die weder unbeschränkt noch beschränkt steuerpflichtig sind, können im Inland beim Wegzug in das Ausland in dem betreffenden Kalenderjahr noch berücksichtigt werden, nämlich beim Progressionsvorbehalt. Der BFH stellt klar, dass die hiernach gebotene Einbeziehung gem. § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG keinen Einschränkungen ausgeset...