Prof. Dr. Heinz-Jürgen Pezzer
Leitsatz
1. Gutschriften aus Schneeballsystemen führen zu Einnahmen aus Kapitalvermögen, wenn der Betreiber des Schneeballsystems bei entsprechendem Verlangen des Anlegers zur Auszahlung der gutgeschriebenen Beträge leistungsbereit und leistungsfähig gewesen wäre.
2. An der Leistungsbereitschaft des Betreibers des Schneeballsystems kann es fehlen, wenn er auf einen Auszahlungswunsch des Anlegers hin eine sofortige Auszahlung ablehnt und stattdessen über anderweitige Zahlungsmodalitäten verhandelt.
Normenkette
§ 20 Abs. 1 Nr. 7, § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, § 8 Abs. 1, § 11 Abs. 1 EStG
Sachverhalt
Ein Ehepaar hatte einem ihm bekannten Bankkaufmann (C) Gelder überlassen, die dieser über noch unbekannte Dritte anlegen sollte. Ein Teil der Erträge wurde auf zwei verschiedene für die Eheleute geführte Konten bei einem Schweizer Kreditinstitut überwiesen. C schrieb dem Ehepaar außerdem Erträge bei einer von ihm beherrschten Briefkastengesellschaft in Liechtenstein gut. Im Lauf der Zeit wurden bei der Briefkastengesellschaft als Ertrag ausgewiesene Beträge nicht mehr auf die Konten bei dem Schweizer Kreditinstitut überwiesen, sondern als zusätzliches Anlagekapital den Eheleuten direkt wieder gutgeschrieben. Über das Vermögen des C wurde erst mehrere Jahre später das Insolvenzverfahren eröffnet.
In ihren ESt-Erklärungen erklärten die Eheleute aus den vorgenannten Vorgängen als Einnahmen aus Kapitalvermögen nur die auf eines der Schweizer Konten überwiesenen Beträge, für die eine "offizielle" Abrechnung erstellt worden war. Die in den Jahren 1992 und 1993 auf das weitere als "Kontokorrent Rubrik Separat" bezeichnete Konto überwiesenen Beträge deklarierten sie nicht.
Das FA erfasste indes zusätzlich sowohl die in den einzelnen Streitjahren überwiesenen, aber nicht erklärten Beträge, als auch die bei er Briefkastengesellschaft lediglich gutgeschriebenen und wiederangelegten Erträge.
Das FG (FG des Saarlands, Urteil vom 06.12.2006, 1 K 165/03, Haufe-Index 1644071, EFG 2007, 506) gab der Klage hinsichtlich der einbehaltenen und wiederangelegten Beträge statt und wies die Klage im Übrigen ab.
Dagegen haben beide Beteiligte Revision eingelegt.
Entscheidung
1. Der BFH erachtete die Revision des FA als begründet, weil das FG die bei der Briefkastenfirma lediglich gutgeschriebenen und wieder angelegten Beträge zu Unrecht nicht als Kapitaleinnahmen erfasst hatte.
Für zwei Streitjahre verwies er die Sache jedoch an das FG zurück, weil das FG insoweit keine ausreichenden Feststellungen über die Leistungsbereitschaft des C getroffen hatte. Das FG war dem unter Beweis gestellten Vortrag der Klägerseite nicht nachgegangen, wonach die Eheleute sich 1995 wegen eines größeren Geldbedarfs an C mit der Bitte um Geldauszahlung gewandt und mit ihm darüber verhandelt hätten. C habe Zahlungen abgelehnt.
2. Die Revision der Klägerseite, in der es nur darum ging, ob der Erfassung der bisher nicht erklärten, auf das zweite bei dem Schweizer Kreditinstitut geführte Konto überwiesenen Erträge die Festsetzungsverjährung entgegenstand, wies der BFH als unbegründet zurück. Das FG habe zu Recht die wegen Steuerhinterziehung auf 10 Jahre verlängerte Festsetzungsfrist zugrunde gelegt.
Hinweis
1. Schneeballsysteme sind in besonderem Maß Quelle von Ärger und Entrüstung bei den betroffenen Anlegern. Diejenigen Anleger, die am Anfang der Kette stehen, können mitunter durchaus beachtliche reale Erträge erzielen und das eingesetzte Kapital oft ganz oder jedenfalls zum größten Teil zurückbekommen. Hingegen sind diejenigen Anleger, die kurz vor dem Zusammenbruch in ein Schneeballsystem investieren oder zu diesem Zeitpunkt lediglich auf dem Papier Scheinerträge gutgeschrieben bekommen, oft die Leidtragenden, weil sie das eingesetzte Geld zum großen Teil oder auch ganz verlieren.
2. Vor diesem Hintergrund ist die Rechtsprechung des BFH deutlicher Kritik ausgesetzt. Sie wird auch immer wieder durch "Rüttelurteile" der FG angegriffen, so auch in diesem Fall, in dem das FG die nicht ausgezahlten, sondern lediglich gutgeschriebenen Erträge nicht als Kapitaleinnahmen beurteilen wollte, weil es sich um ein "unseriöses Anlagesystem" gehandelt habe.
3. Der BFH hat an seiner Rechtsprechung festgehalten, deren Grundsätze sich wie folgt zusammenfassen lassen:
a) Wird Kapital gegen Entgelt überlassen, so ist der Einkunftstatbestand des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG erfüllt. Anzusetzen sind alle Entgelte, die für eine Kapitalüberlassung im weitesten Sinn zugeflossen sind, entweder originär als Zinsen i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG oder zumindest als Entgelt i.S.d. § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EStG.
b) Für die Zuordnung der zugeflossenen Beträge zu den Einkünften i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG ist ohne Belang, ob die Beträge tatsächlich erwirtschaftet waren und ob die Anleger einen zivilrechtlich durchsetzbaren Anspruch besaßen.
c) Eine Gutschrift in den Büchern des Verpflichteten kann einen Zufluss bewirken, wenn in der Gutschrift nicht nur das buchmäßige Festhalten einer Schuld zu sehen ist, sondern darüber h...