Leitsatz
1. Die Marktrendite gem. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 1. Halbsatz EStG a.F. ist nicht anzusetzen, wenn der sicher zugesagte Zinsertrag einer Inhaberschuldverschreibung zweifelsfrei von der ungewissen Höhe des Rückzahlungsbetrags getrennt werden kann.
2. Kosten des Erwerbs einer Kaufoption (Call) führen zu Werbungskosten beim Verkauf der durch Ausübung des Calls erworbenen Inhaberschuldverschreibung i.S.v. § 23 Abs. 3 Satz 1 EStG.
Normenkette
§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2, § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 23 Abs. 3 EStG a.F.
Sachverhalt
Die Kläger hatten zur Risikoabsicherung paarweise Kaufoptionen für Inhaberschuldverschreibungen (ISV) erworben. Die ISV waren mit 1 % p.a. verzinst. Die ISV I war in Abhängigkeit von der Entwicklung des DAX zu 15 %, 111 % oder 180 % des Nennbetrags zurückzahlbar. Bei der ISV II war die Rückzahlung spiegelbildlich vorgesehen. Im Fall der erwarteten Seitwärtsbewegung des DAX war bei Ausübung beider Optionen eine Rendite von 8,5 % erzielbar. Da der DAX entgegen den Prognosen die obere Barriere durchbrach, veräußerten die Kläger die auf den Kauf der ISV I gerichteten Optionen nach Ablauf der Jahresfrist. Die auf den Erwerb der ISV II gerichteten Optionen übten sie aus und veräußerten die ISV II innerhalb der Jahresfrist mit Verlust.
Entscheidung
Der BFH hat den Verlust aus der Veräußerung der ISV II nicht den Einkünften aus Kapitalvermögen, sondern – dem Hilfsantrag entsprechend – den privaten Veräußerungsgeschäften zugeordnet. Er hat außerdem klargestellt, dass der Verlust weder mit dem Gewinn aus der steuerfreien Veräußerung der Calls I saldiert werden darf noch dass eine Saldierung der Calls I und II in Betracht komme. Die durch Abschluss der gegenläufigen Geschäfte beabsichtigte Begrenzung des Verlustrisikos ist steuerlich anzuerkennen. Ein Gestaltungsmissbrauch (§ 42 AO) ist nicht gegeben.
Hinweis
Mehr als 4 Jahre nach dem Auslaufen der Regelung ging es einmal mehr um den Ansatz der Marktrendite in einem Verlustfall. Wäre der Veräußerungsverlust vorrangig bei den Einkünften aus Kapitalvermögen zu erfassen, unterläge er nicht den im Streitjahr (2006) geltenden Abzugsbeschränkungen des § 23 Abs. 3 Sätze 8 und 9 EStG.
1. Der BFH hat den Ansatz der Marktrendite unter Hinweis darauf abgelehnt, dass die veräußerte Schuldverschreibung eine feste Mindestverzinsung von 1 % p.a. vorsah (Emissionsrendite). Dies ermögliche die eindeutige Trennung von Nutzungsentgelt und Kursentwicklung. Dass die Verzinsung nicht marktgerecht gewesen sei, spiele keine Rolle. Auch dem Umstand, dass der Rückzahlungsbetrag von der Entwicklung einer Indexgröße abhängig war, hat der BFH hier keine Bedeutung beigemessen.
2. Mit diesem Ergebnis haben die Beteiligten wohl nicht gerechnet. Ein Blick in die Vorentscheidung zeigt, dass der Kläger und das FA unisono vom Ansatz der Marktrendite ausgingen. Das FG München (Urteil vom 29.9.2011, 5 K 1050/08, Haufe-Index 2859750, EFG 2012, 325) hatte dieser Ansicht sogar ausdrücklich zugestimmt und sich zum Beleg für ihre Richtigkeit – pikanterweise – auf dieselbe BFH-Entscheidung berufen, die der Senat in der Besprechungsentscheidung nun zum Beleg des Gegenteils herangezogen hat (BFH, Urteil vom 7.12.2010, VIII R 37/08, BFH/NV 2011, 776).
3. Interessant wird nun sein, wie der VIII. Senat demnächst entscheiden wird:
a) Das Schleswig-Holsteinische FG hat in einem Fall, der offenbar dasselbe Anlageprodukt betrifft, die Anwendbarkeit des § 20 Abs. 2 EStG grundsätzlich bejaht, jedoch eine Gewinnerzielungsabsicht bei Anschaffung der Schuldverschreibung verneint (FG Schleswig-Holstein, Urteil vom 1.7.2011, 2 K 190/09, EFG 2011, 1892). Dem hatte sich das FG im Streitfall angeschlossen.
b) Gegen die Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen FG ist Revision eingelegt worden, über die den BFH noch nicht entschieden hat (Aktenzeichen VIII R 28/11).
c) Außerdem hat der VIII. Senat in einer neueren Entscheidung den Ansatz der Marktrendite trotz einer geringen Mindestverzinsung der Schuldverschreibung ausdrücklich gebilligt (BFH, Urteil vom 6.11.2012, VIII R 40/10, BFH/NV 2013, 397).
4. Dem Erwerb der Schuldverschreibung war eine nur auf effektive Ausübung gerichtete Kaufoption vorgeschaltet, von der Gebrauch gemacht worden war. In diesem Fall – so der zweite Leitsatz der Entscheidung – erhöhen die Anschaffungskosten der Option diejenigen für die Schuldverschreibung. Insofern ist der BFH der Auffassung der Vorinstanz gefolgt.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 20.8.2013 – IX R 38/11