Leitsatz
Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden folgende Fragen zur Auslegung der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.05.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (Richtlinie 77/388/EWG) bei Ausflügen im Sinne von Art. 1 Abs. 1 erster Spiegelstrich der Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20.12.1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (Richtlinie 85/577/EWG) zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Handelt es sich bei einem von einem "Gewerbetreibenden außerhalb von dessen Geschäftsräumen organisierten Ausflug" im Sinne des Art. 1 Abs. 1 erster Spiegelstrich der Richtlinie 85/577/EWG um "bei Durchführung einer Reise vom Reisebüro erbrachte Umsätze" im Sinne des Art. 26 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 77/388/EWG?
2. Falls die erste Frage zu bejahen ist: Ist die Sonderregelung für Reisebüros nach Art. 26 der Richtlinie 77/388/EWG auch dann anzuwenden, wenn die nach Art. 26 Abs. 2 Satz 3 der Richtlinie 77/388/EWG als Besteuerungsgrundlage geltende Marge negativ ist, weil die tatsächlichen Kosten den vom Reisenden zu zahlenden "Gesamtbetrag ohne Mehrwertsteuer" übersteigen?
3. Falls die erste und die zweite Frage zu bejahen sind: Ist Art. 12 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 77/388/EWG auf die als Besteuerungsgrundlage geltende Marge im Sinne des Art. 26 Abs. 2 Satz 3 der Richtlinie 77/388/EWG auch dann anzuwenden, wenn die Marge negativ ist, so dass eine negative Marge zu einer Erstattung an den Steuerpflichtigen führt?
Normenkette
§ 25 UStG, Art. 12 Abs. 1 Satz 1, Art. 26 6. EG-RL (= EWGRL 388/77), Art. 1 Abs. 1 erster Spiegelstrich EWGRL 85/577
Sachverhalt
Die Klägerin veranstaltete in den Jahren 1997 bis 1999 (Streitjahre) Ausflugsfahrten mit dem Ziel, den Absatz der von ihr angebotenen Waren zu fördern (Kaffeefahrten). Dabei wurden die Teilnehmer mit Bussen abgeholt und zu touristisch interessanten Zielen befördert. Im Rahmen der Ausflugsfahrten führte die Klägerin Verkaufsveranstaltungen außerhalb ihrer Geschäftsräume durch, bei denen sie den Ausflugsteilnehmern Waren anbot, die diese gegen gesondertes Entgelt von der Klägerin erwerben konnten. Zur Beförderung der Ausflugsteilnehmer bediente sich die Klägerin diverser Busunternehmen, deren Leistungen den Ausflugsteilnehmern unmittelbar zugutekamen. Für die streitgegenständlichen Ausflugsfahrten vereinnahmte die Klägerin von den Ausflugsteilnehmern Fahrtgelder. Die von den Busunternehmen der Klägerin in Rechnung gestellten Buskosten überstiegen die eingenommenen Fahrtgelder. Beispielsweise betrug die Kostendeckungsquote im Streitjahr 1999 etwa 60 %. Die Teilnehmer erhielten im Rahmen der Ausflugsfahrten außerdem – jeweils ohne gesondertes Entgelt – Verpflegung und konnten an einem touristischen Programm (z.B. Schiffsausflugsfahrten) teilnehmen. Diese Leistungen bezog die Klägerin teilweise ebenfalls von anderen Steuerpflichtigen. In Bezug auf diese Kosten hat das FA den Vorsteuerabzug, soweit er geltend gemacht wurde, nicht beanstandet. Einspruch und Klage zum FG hatten anders als die Revision zum BFH keinen Erfolg.
Während des zweiten Rechtsgangs erließ das FA im Verfahren vor dem FG geänderte USt-Bescheide für die Streitjahre, die gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens wurden und in denen es den begehrten Vorsteuerabzug aus den Buskosten insoweit gewährte, als diese Beträge mit unentgeltlichen Ausflugsfahrten im Zusammenhang standen. Zudem schlossen die Klägerin und das FA eine "tatsächliche Verständigung" ab, die in Bezug auf Rechtsfragen für das gerichtliche Verfahren keine Bindungswirkung entfaltet.
In seinem Urteil im zweiten Rechtsgang wies das FG (Niedersächsisches FG, Urteil vom 12.5.2022, 5 K 303/14, Haufe-Index 11676261) die Klage erneut als unbegründet ab. Ein Vorsteuerabzug aus den Busbeförderungsleistungen, die die Klägerin für die entgeltlichen Ausflugsfahrten von anderen Unternehmern bezogen habe, stehe der Klägerin nicht zu. Zwar führe die vollständige Erfassung der Fahrtgelder in den Streitjahren dazu, dass die Marge i.S.d. § 25 Abs. 3 Satz 1 UStG negativ sei. Dennoch sei die Einbeziehung der vollständigen Aufwendungen für die Busfahrten in die Margenbesteuerung gerechtfertigt. Die Anwendung des § 25 Abs. 4 Satz 1 UStG scheide hinsichtlich der Buskosten nicht deswegen aus, weil der einzige Zweck der durchgeführten Reiseleistungen darin bestehe, den Warenverkauf bei den Verkaufsveranstaltungen zu fördern. Die Buskosten als Eingangsleistung stünden objektiv in einem direkten und unmittelbaren Zusammenhang zu den von der Klägerin gegen Entgelt durchgeführten Ausflugsfahrten als Ausgangsleistung. Sie seien zwangsläufig Kostenelemente für die Entgelte der Ausflugsfahrten und stünden allenfalls mittelbar im Zusammenhang mit dem Warenverkauf, der eine von der Ausflugsfahrt verschiedene, selbstständige Leistung darstelle.
Entscheidung
Der BFH legte ...