aa) Keine steuerbare Schenkung
Aus Sicht der pflichtteilsberechtigten Person stellt sich in steuerlicher Hinsicht zunächst die Frage, ob die Abfindungszahlung bei ihr eine steuerbare Schenkung darstellt. Dies scheint zunächst nicht abwegig und wurde von Seiten der Finanzverwaltung in entsprechenden Verfahren bereits so vertreten. Denn immerhin fließt eine Geldzahlung, obwohl der Pflichtteilsanspruch verjährt und daher rechtlich nicht mehr durchsetzbar ist.
Insoweit könnte man zunächst an die bereits angesprochene Vorschrift des § 7 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG denken. Nach der Regelung gilt als Schenkung unter Lebenden, was als Abfindung für einen Erbverzicht (§§ 2346 und 2352 BGB) gewährt wird. Indes zeigen der Verweis auf § 2346 BGB (s. bereits oben II.) und die Regelung des § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG (s. hierzu unten b), bb)), dass hiervon nur der Pflichtteilsverzicht vor Eintritt des Erbfalls erfasst wird (Götz in Wilms/Jochum, ErbStG, § 7 Rz. 238; Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 7 Rz. 321; Wachter, DB 2017, 2500, 2503).
Allerdings kann die Abfindungsleistung auch nicht als freigebige Zuwendung i.S.d. Grundtatbestandes nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG eingeordnet werden. Freigebigkeit setzt jedenfalls die objektive Unentgeltlichkeit voraus, an der es fehlt, wenn mit der Leistung eine Rechtspflicht – hier die Pflichtteilsverbindlichkeit – erfüllt wird.
Dabei kann es meines Erachtens keinen Unterschied machen, ob bereits Verjährung eingetreten ist. Auch die Erfüllung einer nicht erzwingbaren Schuld, einer sog. Naturalobligation, stellt mangels Freigebigkeit keine Schenkung dar (BFH v. 2.10.1957 – II 127/57 U, BStBl. III 1957, 449 Rz. 20; Esskandari in v. Oertzen/Loose, ErbStG, 2. Aufl. 2020, § 7 Rz. 18). Das Ergebnis dürfte dadurch bestätigt werden, dass die Abfindungsleistungen als Erwerb von Todes wegen nach § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG steuerbar sein dürften (hierzu sogleich).
bb) Steuerbarer Erwerb von Todes wegen
Nach § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG gilt u.a. als vom Erblasser zugewendet, was als Abfindung für einen Verzicht auf den entstandenen Pflichtteilsanspruch gewährt wird. Die Regelung fingiert eine Zuwendung durch den Erblasser, so dass insb. das Verwandtschaftsverhältnis zum Erblasser – und nicht zu der Person, die die Abfindung zahlt – maßgeblich ist (Götz in Stenger/Loose, BewG/ErbStG/GrStG, § 3 ErbStG Rz. 311). Maßgeblich für die Steuerentstehung ist nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 lit. f ErbStG der Zeitpunkt des Verzichts, nicht der Zeitpunkt der Abfindungszahlung (Kepper in Kapp/Ebeling, ErbStG, § 3 Rz. 217 m.w.N.; Götz in Stenger/Loose, BewG/ErbStG/GrStG, § 3 ErbStG Rz. 312). Auch insoweit dürfte der Verjährungseintritt unerheblich sein, da die Verbindlichkeit – wie dargelegt – gerade nicht erlischt.
Beraterhinweis Zu beachten ist, dass vor dem Erbfall gemachte Zuwendungen, die nach § 2315 Abs. 1 BGB anrechenbar wären, unter den Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG auch erbschaftsteuerlich als Vorerwerbe erfasst werden können.
Ein anderes Ergebnis wird für die Konstellation diskutiert, in der der Pflichtteilsberechtigte auf seinen Anspruch nicht verzichtet, sondern sich lediglich auf Dauer verpflichtet, den Anspruch nicht geltend zu machen (sog. pactum de non petendo). Wird hierfür eine Gegenleistung gewährt, soll es an einem § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG entsprechendem Besteuerungstatbestand fehlen (Götz in Stenger/Loose, BewG/ErbStG/GrStG, § 3 ErbStG Rz. 313).